Es ist eine einzigartige Geschichte. Ein Bergbauer aus dem Oberen Vinschgau hat in wenigen Jahren das geschafft, was als Blaupause für eine künftige Berglandwirtschaft verwendet werden kann. Er arbeitet gleichermaßen erfolgreich wie fundamental ökologisch. Alexander Agethle aus Schleis bei Mals setzt dem neoliberalen Wahnsinn industrieller Massenproduktion lediglich ein schlichtes „Weniger ist Mehr“ entgegen. Und hat großen Erfolg damit.
Dem studierten Agrarökonomen war es nicht in die Wiege gelegt, zu einem Vorkämpfer einer tiefgreifenden Ökologisierung der Landwirtschaft zu werden. Alexander, Sohn eines Rinderzüchters und Milchbauern in Schleis, hatte in den USA bereits die industriellen Varianten der Landwirtschaft kennengelernt. Er wurde von einer Karriere als ‚Industriebauer‘ nur dadurch abgehalten, dass die Amis seine Visa-Verlängerung ablehnten. So kam er zurück, arbeitete beim Alpenforschungsinstitut in Garmisch-Partenkirchen. Dort untersuchte er die Auswirkungen der EU-Agrarpolitik auf die Landwirtschaft im Alpenraum. Später hilft er fünf Jahre lang mit, im Kosovo die Landwirtschaft nach Ende des Bürgerkrieges wieder aufzubauen.
Auf Heller und Pfennig: Agethles Hofbuchhaltung
Als er 2003 den Erbhof ‚Englhorn’ übernimmt, stellt er ihn zuallererst einmal auf BIO um. Denn die Zeit im Kosovo ließ ihn über die aggressive europäische Landwirtschaft nachdenken. Über den Import von Hunderttausenden Tonnen argentinischem Soja, die Abholzung der Regenwälder, den enormen Trinkwasserverbrauch bei der Rinderzucht und die Landflucht der Menschen aus diesen Gebieten.
Gleichzeitig installiert er eine Hofbuchhaltung, in der selbst die Zigaretten seines Vaters als Kostenfaktor aufscheinen. Die Buchhaltung belegt schon bald: Hohe Milchleistung verursacht hohe Kosten. Und die Tatsache, dass der Milchpreis von den Bauern nicht beeinflusst werden kann treibt viele bei sinkenden Preisen in den Ruin. Dieses Risiko wollte Alexander Agethle nicht eingehen.
Die Neuausrichtung der Rinderzucht samt Milchproduktion seines Vaters auf eine verminderte Milchproduktion ohne Zukauf-Futtermittel stieß bei diesem anfänglich auf pures Unverständnis. „Auch ich hatte manchmal Bauchweh“, gesteht er ein. „Aber die Zahlen der Buchhaltung haben eine ganz eindeutige Sprache gesprochen. Entweder grundlegende Umorientierung oder der Hof ist in einigen Jahren nicht mehr überlebensfähig.“
Kein Kraftfutter mehr
Nach der Umstellung seines Hofes auf Bio-Landwirtschaft tauscht er auch die Zuchttiere gegen eine alte Rinderrasse, das Original Schweizer Braunvieh. Er lässt den Tieren auch wieder Hörner wachsen, baut seinen alten Stall zu einem Freilaufstall um und sorgt für einen ganzjährigen, täglichen Auslauf der Tiere in Hofnähe. „Wenn die Tiere täglich Auslauf haben ist auch die Verletzungsgefahr durch die Hörner nicht so groß“, sagt er. Noch kauft er eine kleine Futtermenge biologischer Getreidemischung, will seine insgesamt 12 Milchkühe aber schon bald ausschließlich mit hofeigenem Heu im Winter und dem Weidegras im Sommer füttern. „Die Tiere haben Jahrtausende nur Heu und Gras gefressen, erst wir haben sie zu Eiweißfressern gemacht“ sagt er. „Und mit der Menge an Getreide, die in weltweit in die Tiermast geht könnten wir 5 Milliarden Menschen ernähren“. Das sei doch ungeheuerlich.
Alles für den Boden: Von der Gülle- hin zur Kompostwirtschaft
Eine weitere, tief einschneidende Änderungen am Hof Englhorn ist die völlige Neuorientierung der Düngewirtschaft. Alexander Agethle ist sofort dran gegangen, die Gülleausbringung durch eine Mistausbringung zu ersetzen. Für Mist ist jedoch Stroh erforderlich, das er auch selbst produziert. Denn er hatte auch schon früh begonnen, Getreide zuerst für den Selbstverbrauch und jetzt auch in einer etwas größeren Menge für die Herstellung des hofeigenen Brotes anzubauen. Aber die ‚Mistwirtschaft‘ ist nicht das eigentliche Ziel. „Der Kompost ist mein Ziel“, sagt er. Und beginnt, den Mist in einem gar nicht einfachen Verfahren zu Kompost zu verarbeiten. Derzeit laufen seine Versuche mit Terra Preta. Denn, so Alexander, die Zukunft der Landwirtschaft hängt von der Qualität der Böden ab.
Eine Hofsennerei wird eingerichtet
Nur logisch, dass Alexander Agethle mit der geringeren Milchmenge etwas herstellen will, das einzigartig ist. Und die Qualität seiner Bemühungen auch wiedergibt. Das konnte nur Käse sein. Gemeinsam mit einem seiner engsten Freunde, dem Senner Maximilian Eller beginnt er im Keller seines Erbhofes in einer Mini-Hofsennerei. Die beiden stellen aus den täglich anfallenden 200 Litern Milch – Alexander kauft noch die Milch von drei Kühen eines befreundeten Bauern zu – lediglich drei Käsesorten, die alle Namen umliegender Berge tragen: Arunda, ein Weichkäse, Tella der Schnittkäse und Rims, ein Hartkäse. Schon bald wird diese Kleinsennerei jedoch zu klein. Er will die direkt neben dem Hof befindliche, alte Dorfsennerei von Schleis erwerben. Er kann diese Investition nicht allein stemmen. Und so entwickelt er ein neues Finanzierungsmodell mit absolutem Vorbildcharakter.
„Crowdfunding“ der neuen Art
Er wendet sich an seine Kunden und potentiellen Kunden mit einem Angebot: All jene, die ihm mindestens 500 Euro auf 10 Jahre leihen, erhalten jährliche ‚Rückzahlungen‘ in Form von Käse. Er erfindet Käsegutscheine, sogenannte „Englhörner“. Ein Englhorn ist 200 Gramm Käse wert. Und diese Gutscheine werden 10 Jahre lang an die Darlehensgeber geschickt, die dann entsprechend viel Käse zu 22,70 Euro pro Kilogramm einlösen können. Dieser Preis ändert sich übrigens nicht im Verlauf der 10 Jahre. Eigentlich ist es ein Verkauf von Lebensmitteln in der Zukunft. Und das ist in Italien möglich. Die Mehrwertsteuer dafür führte er gleich zu Beginn in voller Höhe ab.
Von den Leuten im Dorf als Spinner belächelt, hat sein Finanzierungsmodell ungeahnten Erfolg. Insgesamt 181 Menschen aus Südtirol, Italien und Deutschland stellen ihm die benötigten 180.000 Euro zur Verfügung. Ein ‚ethischer Kredit‘ der Raiffeisenbank ergänzte den Finanzierungsbedarf und so wurde die alte Schleiser Dorfsennerei saniert und quasi wieder in Betrieb gesetzt.
Die Käserei befindet sich jetzt auf 2 Ebenen. Denn Alexander Agethle geht mit der Milch so sorgsam um, dass er sie nicht einmal pumpt, um die Fettmoleküle, also die Geschmacksträger der Milch, nicht zu zerstören. Also ‚fließt‘ sie im Laufe des Bearbeitungsverfahrens von oben nach unten in einen Kupferkessel für Weichkäse und in einen Edelstahlkessel für Hart- und Schnittkäse. Im Keller lagern die kleinen Laibe zwischen einigen Wochen und ein bis zwei Jahren beim Hartkäse. Im Verkaufsraum der Hofsennerei nicht zu übersehen sind die vielen Urkunden, die von nationalen und internationalen Preisen künden. Die aber sind für Alexander nie so wichtig wie zufriedene Kunden, die von der Qualität der Käse schwärmen.
Nachdenkpause im Sommer – ein Bauernhof mit ‚Auszeit‘
Sehr wichtig ist es für Alexander und seine Frau Sonja „nicht 365 Tage zu melken, da würde ich einen Vogel kriegen“. Das könne auf Dauer nicht gut gehen. Also wird der Sommer zu einer eher entspannten Zeit am Englhof. Die Kühe sind vom Juni bis September auf der Alm, der Stall quasi verwaist. Im Tal ist nur Heumachen angesagt. Dann hat die Familie Agethle Zeit, sich zu erholen und über die Arbeit zu reflektieren. „Das ist nötig, um dann wieder neun Monate lang tagtäglich ein perfektes Produkt zu erzeugen“ sagt Agethle. Vielleicht ist dies das eigentliche ‚Geheimrezept‘ des Alexander Agethle.
Meine Tipps:
Den Englhorn-Käse gibt’s zu kaufen. Entweder direkt im Hofladen in Schleis oder per Versand. Und wer schon einmal in Schleis ist sollte sich eine Führung am Hof Englhorn nicht entgehen lassen: http://englhorn.com/verkauf/verkauf-und-hoffuhrung/
Diesen Text habe ich vor zwei Jahren für die Zeitschrift ‚Wege für eine bäuerliche Zukunft‘ der Österreichischen Bergbauernvereinigung verfasst. Eine der wenigen Organisationen, die sich der drängenden Probleme unserer Klein- und Bergbauern annimmt. Ein Abo ist außerordentlich empfehlenswert. Allein schon wegen der einzigartigen Karikaturen zum Thema ‚Bauern‘, die der Tiroler Much Unterleitner seit Jahrzehnten für die ÖBV verfasst.
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