Aus dem ‚Homo sapiens‘ wird ein ‚Homo destructor’

Haben wir uns als Menschheit das eigene Grab geschaufelt in das wir abzustürzen drohen? Oder gibt es quasi im letzten Moment noch Hoffnung?

Das neue Œuvre des von mir hochgeschätzten Geografen und Alpenforschers Werner Bätzing nennt sich ‚Homo Destructor‘. Es ist eine kristallklare Analyse jenes hausgemachten Weges, der die Menschheit in relativ kurzer Zeit (geht man davon aus, das der moderne Mensch vor 200.000 Jahren entstanden ist) an den Rand der Selbstauslöschung geführt hat. Trotz erdrückender Hinweise darauf, dass wir unsere Lebensgrundlagen bereits aufs Äußerste strapaziert haben nennt Bätzing Möglichkeiten, wie wir den Sturz ins Grab in letzter Sekunde teilweise noch abmindern könnten.

Werner Bätzing mit den Gründer_innen der Schule der Alm im Valsertal.

Werner Bätzing, Kulturgeograf und renommierter Alpenforscher legt wiederum ein höchst bemerkenswertes Buch vor. In bester Tradition deutscher Gründlichkeit und Akkuratesse teilt er die Menschheitsentwicklung in drei epochale Transformationen: Der Jäger- und Sammlergesellschaften folgte die neolithische Transformation mit den Bauerngesellschaften,  Stadtstaaten und Großreichen. Ab der Renaissance und der damit verbundenen Aufklärung entwickelte sich in der Folge die Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften. Eine vierte epochale Transformation steht unmittelbar bevor. Nämlich jene, die die Bedingungen für menschliches Leben zerstört. Die menschliche Destruktion.

Eine düstere Prognose

Ich habe auf meine alten Tage hin meine historischen Kenntnisse ernsthaft neu justiert. Nach dem Lesen (besser sollte ich sagen nach dem Studium) des Werkes des von mir hochgeschätzen Alpenforschers Prof. Werner Bätzing haben sich viele Nebel verzogen, die mir bisher die klare Sicht auf die Vergangenheit getrübt hatten. Denn das Buch ist der gelungene Versuch Bätzings, die kommende Klimakatastrophe aus der Entwicklung der Menschheit heraus zu erklären, ja geradezu abzuleiten. Was sich für mich in einer der seriösesten Abhandlungen offenbart, wie es denn zur ‚Destruktion‘ der Welt kommen konnte. Der Buchtitel ‚Homo Destructor‘ lässt allerdings eine düstere Prognose erahnen.

Die Frage, wie es soweit kommen konnte mit der Menschheit, dass sie sich selbst zu zerstören droht, geht Bätzing von einer wenig genutzten, sehr aufwändigen Seite her an. Auf der Basis wissenschaftlicher Forschungsergebnisse zeichnet er den Weg der Menschheit vom Faustkeil bis zur Atombombe nach. Was seine ‚Abhandlung‘ so interessant macht: er argumentiert nicht vom erhöhten Podest heutiger Geschichtswissenschaften aus sondern versetzt sich auf der Basis wissenschaftlicher und archäologischer Erkenntnisse in das jeweilige Zeitalter. Um dann mithilfe der historischen und archäologischen Befunde abzuleiten, wie und weshalb es soweit kommen konnte, dass wir als Menschheit heute sehenden Auges in eine Selbstauslöschung laufen. 

Die drei markanten Transformationen der Menschheitsgeschichte

Bätzing betrachtet die Menschheit, deren Verhalten auf einen Abgrund zusteuert, nicht durch die ideologische Brille. Er gliedert seine Ausführungen in die drei entscheidenden Epochen der Menschheitsgeschichte: 

  • In der 1. Epoche waren es Jäger- und Sammlergesellschaften.
  • In der 2. Epoche bildeten sich nach der neolithischen Transformation die Stadtstaaten und Großreiche
  • In der 3. Epoche entstanden die Industrieund Dienstleistungsgesellschaft

Während in der Epoche der Jäger- und Sammlergesellschaften keine Vorräte oder Reichtümer angesammelt und keine Eliten gebildet wurden, machte dies erst die neolithische Transformation (Bätzing ersetzt das Wort ‚Revolution‘ hier durch ‚Transformation‘, also Umwandlung) möglich. Erste religiöse Zentren – wie etwa Göbekli Tepe – wurden zum Ziel der prähistorischen Gesellschaften. Dass für die Zusammenkünfte eine Art Bier gebraut worden war, wurde jüngst durch das Auffinden von großen Steingefäßen in Göbekli Tepe bestätigt. Die ursprüngliche Verwendung von Getreide zur Erzeugung von Bier – dessen berauschende Wirkung Teil des damaligen Kults gewesen sein musste – war Anlass dafür, das Getreide gezielt anzubauen. 

Aus den Jägern und Sammlern wurden nun die neolithischen Bauern. Natur wurde flächendeckend in Kulturlandschaft umgewandelt. Pflanzen und Tiere waren den Menschen von ‚Göttern anvertraut‘. Die Bauern fühlen sich für ihre Kulturlandschaften quasi verantwortlich vor den Göttern, was zu einer Art Selbstbegrenzung führt.

Jagdszenen, auf einer Felszeichnung in der Sahara festgehalten. Bild: Wikipedia,

Die neolithische Transformation  macht es erstmals möglich, mehr Nahrungsmittel zu erzeugen als es der Verbrauch erforderlich machte. Das Entstehen zentraler Tempelanlagen und damit auch einer Priesterschaft bildet die Grundlage für die ersten Städte und Stadtstaaten der Menschheit. Es kam zur Bildung von Eigentum, das wiederum Hierarchien schaffte. Gewalt wurde zu einem Mittel von Herrschaft. Diese Städte waren jedoch direkt vom Land abhängig. Dass damals keine größeren Umweltzerstörungen stattfanden ist darauf zurückzuführen, dass sich die Menschen weiterhin an der natürlichen göttlichen Ordnung der Welt orientierten. Allerdings gingen die fragilen Herrschaftsgebilde bisweilen sogar ‚über Nacht‘ unter, wenn die Versorgung der Stadtstaaten mit Lebensmitteln aus dem Umland nicht mehr möglich war. Das konnte aufgrund von Naturereignissen ebenso erfolgen wie aufgrund kriegerischer Ereignisse.

Das Ishar-Tor des einstigen Babylon. Der Stadtstaat konnte nur solange betehen, wie das Umland für die Lebensmittelversorgung aufkommen konnte. Bild: wikipedia, Rictor Norton

Die Entstehung der Naturwissenschaften als Treibsatz der industriellen Transformation

Das Zeitalter der Aufklärung und Renaissance war auch die Geburtsstunde der Wissenschaften. Die sich nun von der Religion insofern lösten, als sie Erkenntnisse unabhängig von der Kirche veröffentlichten. Man denke nur an Galileo Galilei. Die nahezu gleichzeitige Aufhebung des kirchlichen Zinsverbotes bereitete den Weg in den Kapitalismus. Zinseszinsen sind ein enormer Treibsatz, wird doch die Wirtschaft zum Sklaven des permanenten Wirtschaftswachstums.

Der Zusammenhang zwischen Zinsen und Wirtschaftswachstum ist jenes ‚Hamsterrad’, in dem unsere Gesellschaften immer schneller laufen müssen. Wird doch aus Geld noch mehr Geld gemacht. Jetzt, postuliert Bätzing, „wird der industriell wirtschaftende Mensch zum Homo destructor“. Permanentes Wachstum ist ab sofort die logische Konsequenz allen Handelns. Vorerst bleiben die Umweltzerstörungen noch auf Industriestädte und -gebiete begrenzt. 

Die Dampfmaschine stand am Beginn der industriellen Transformation. Nun begann auch die grenzenlose Ausbeutung von Rohstoffen wie Kohle und Erdöl.

Die Entgrenzung nach dem 2. Weltkrieg

Nach dem 2. Weltkrieg verwandelt sich die kapitalistische Industrie- in eine kapitalistische Dienstleistungsgesellschaft. Diese neue Form des Wirtschaftens erfaßt die ganze Welt. Die Menschen versuchen, ihre Bedürfnisse mittels Geld grenzenlos zu steigern. Die Natur wird zum Rohstoff, auch in der Freizeit. Nun wird die Umweltzerstörung zu einem globalen Phänomen und der Mensch zum Zerstörer. 

Bätzings kann natürlich kein Patentrezept anbieten, wie denn nun der drohende Klimakollaps verhindert werden kann. Dass wir aufhören müssen, unsere unmittelbaren Lebensgrundlagen zu zerstören, wie etwa Verschmutzungen und Vergiftungen ist quasi logisch und unbestritten. Wirtschaft und Gesellschaft müssen radikal umweltverträglich gestaltet werden, Teile der Erde sollen nicht mehr genutzt und vollständig der Natur überlassen bleiben.

Wenn wir die Ausbeutung des Planeten nicht massiv herunterfahren wird sich die Menschheit auslöschen ©Wikipedia

Selbstbeschränkung als Ausweg

Seine Haupterkenntnis aus der Analyse der Menschheitsgeschichte: wir müssen uns wieder selbst beschränken. Also das, was Bauerngesellschaften noch vor der industriellen Revolution getan hatten. Sie handelten so, dass die ökologische Reproduktion der menschlich veränderten Natur gewährleistet bleibt. Die Individualisierung unserer Gesellschaft ist ein weiteres Problem bei der Verringerung der Unweltzerstörung. Wenn sich jede_r selbst der/die nächste ist, wenn der persönliche Vorteil vor den Vorteil einer Gesellschaft gestellt wird, ist die Selbstauslöschung eine nur allzu logischen Folge.

Wie bereits gesagt: das Buch hat für mich viele historische ‚Nebel‘ beseitigt, hat Zusammenhänge offengelegt, die mir bislang nicht bewusst gewesen sind. Deshalb möchte ich eine dringende Leseempfehlung aussprechen.

Werner Bätzing: Homo Destructor

Eine Mensch-Umwelt-Gechichte. Von der Entstehung des Menschen zur Zerstörung der Welt. 463 S., Hardcover, mit 4 Karten. Hardcover € 32, e-book 24,99

ISBN 978-3-406-80668-1

2 Gedanken zu “Aus dem ‚Homo sapiens‘ wird ein ‚Homo destructor’

  1. Danke für deine Kurzzusammenfassung.
    Habe allerdings einige Bemerkungen zu bieten, die möglicherweise auf die Kürze zurückgeführt werden können, aber trotzdem…
    „Seine Haupterkenntnis aus der Analyse der Menschheitsgeschichte: wir müssen uns wieder selbst beschränken. Also das, was Bauerngesellschaften noch vor der industriellen Revolution getan hatten. Sie handelten so, dass die ökologische Reproduktion der menschlich veränderten Natur gewährleistet bleibt.“
    Sie haben es „nicht nur getan und handelten so“ sondern sie MUSSTEN es tun – und es war ein kulturpolitisch wichtiger Schritt in der Änderung von der Sammler- in die Sesshaften-Gesellschaft – denn es musste Saatgut zurückgehalten werden, ohne das keine Ernte im nächsten Jahr – Sammler zogen einfach weiter – was z.B. bei der Gastfreundschaft eine komplette Änderung zur Folge haben musste. Man musste – Nein – sagen, im Gegensatz zu Sammlerkulturen, bei denen immer alles zur zur Verfügung gestellt wurde und das ist bis heute noch in vielen Kulturen als „Gastfreundschaft“ spürbar… (siehe – Nahrung für die Götter. Jost Herbig)
    „Die Individualisierung unserer Gesellschaft ist ein weiteres Problem bei der Verringerung der Unweltzerstörung. Wenn sich jede_r selbst der/die nächste ist, wenn der persönliche Vorteil vor den Vorteil einer Gesellschaft gestellt wird, ist die Selbstauslöschung eine nur allzu logischen Folge.“
    Diese Individualierung ist nur eine scheinbare, vorgetäuschte – sie stellt sich schlussendlich als Ent-individualisierung als Massenphänomen heraus. Er ist sich eben nicht der/die „Nächste“ sondern immer mehr Entfremdet und er/sie ist Teil von Gesellschaften, die sich über andere Gesellschaften stellen – der/die Einzelne zählt nicht.

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