Reichtum ist, auf Überfluss in Würde zu verzichten

Wer immer über die Zukunft der alpinen Landwirtschaft nachdenkt kommt an den Ideen und vor allem an den Aktivitäten des ‚sanften Bauernrebells‘ Alexander Agethle nicht vorbei. Das neue Projekt seines Englhofes im Oberen Vinschgau Südtirols zeigt wieder neue Wege für kleinbäuerliche, alpine Betriebe auf.

Alexander Agethles geniesst in Fachkreisen bereits eine Art Kultstatus. Der Umstellung seines Englhorn-Hofes in Schleis bei Mals im Vinschgau auf Biolandbau im Jahr 2000 folgte 2003 ein Projekt, dessen Erfolg legendär ist: die Käse seiner Hofkäserei – in Handarbeit von Käsemeister Maximilian Eller geformt – wurden bereits zweimal mit dem italienischen ‚Käse-Oscar’ ausgezeichnet. Hier geht’s zu mehr Informationen auf einem unserer Blogbeiträge.

Eine neue Crowdfunding-Aktion des Englhofes, die ich weiter unten schildern möchte, ist für mich ein willkommener Anlass, mit Alexander Agethle über Kleinbauern, Milchwirtschaft und den Zustand der Almen in Südtirol zu reden.

Alexander Agethle

Zurück zur Natur. So würde ich die Arbeitsgrundlage von Alexander bezeichnen. Dazu passt noch ein abgewandeltes Kant-Zitat, das die Lebensphilosophie des Ehepaares Alexander und Sonja Agethle meines Erachtens am besten ausdrückt: „Reichtum ist, auf Überfluss in Würde zu verzichten.“ Es ist tatsächlich Verzicht, der den eigentlichen Erfolg dieser Familie mit ihrem Englhof begründet. Verzicht, über den ich mich mit Alexander unterhalte. Und der in dieser Qualität die Existenz kleiner Bergbauernbetriebe in den Alpen neu definieren und langfristig sogar absichern kann.

Verzicht auf Milchmenge und Tierausbeutung

Als eine der ersten Maßnahmen nach der Übernahme des Hofes von seinem Vater hat Alexander eine neue, sehr alte Kuhrasse am Hof etabliert: das Original Braunvieh. 12 dieser leichtgewichtigen Kühe haben in seinem Stall Platz. Und natürlich tragen alle Tiere ihr Gehörn mit Stolz. Dass sie wesentlich weniger Milch geben würden war klar. Die Milchmenge sank denn auch pro Kuh von rund 9.500 auf 5.000 kg Milch im Jahr. Daß seine Tiere 225 Tage des Jahres im Freien verbringen, davon drei Monate auf der Alm, fördert deren Gesundheit und körperliche Widerstandskraft. „Und wir machen im Sommer quasi Urlaub“, lacht Alexander. 

Verzicht auf Kraftfutter

Gras und Heu. Das sind die beiden ausschließlichen Futtermittel, die die Kühe des Englhofes verzehren. Dass die ‚Milchleistung‘ seiner Kühe dadurch wieder auf jenes natürliche Maß zurückgegangen ist, das den biologischen Anlagen der Tiere entspricht, war beabsichtigt. Agethle: „Die wesentlich höhere Milchqualität macht es jetzt möglich, unverwechselbare und einzigartige Lebensmittel herzustellen“.

„Kraftfutterfrei“ erzeugte Milch ist denn auch eines der ökologischen Zauberworte, die Alexander als Basis für die Existenzsicherung kleinbäuerlicher Strukturen zur Diskussion stellt. „Milchmengen, die unter Einsatz von Soja oder Getreide, das teilweise aus Übersee stammt, können doch nicht als ‚Alpenmilch‘ bezeichnet werden“ sagt er und schlägt vor, eine neue Kennzeichnung für Qualitätsmilch einzuführen: Kraftfutterfrei.

Alexander und Sonja Agethle in ihrem Hofladen mit ihrem exzellenten, 6 Monate gereiften ‚Rims‘-Käse

Es ist daher auch kein Wunder, dass seine hochgelobten Käse mit den exotisch anmutenden Namen Arunda, Tella und Rims zu den besten in Italien gehören und bisher mit zwei italienischen ‚Käse-Oscars‘ ausgezeichnet worden sind. Es sind übrigens allesamt Namen von Berggipfeln der Sesvennagruppe, die sich hinter dem Englhof auftürmt.

Einer der beiden ‚Käse-Oscars‘ wird beim Hofladen der Agethles ‚ausgestellt‘.
Der Hofladen des Englhofes in Schleis

Verzicht auf Kunstdünger

‚Kreislaufwirtschaft‘ ist ein weiteres Zauberwort des studierten Agrar-Ökonomen. Die beginnt am Englhof mit der Produktion des eigenen ‚Naturdüngers‘. Denn die Kühe ruhen in der Nacht auf Getreidestroh, das aus hofeigenem Anbau stammt. Die Vermischung des Strohs mit dem Dung, also dem Mist der Tiere veredelt Alexander zu Kompost, der auf Äcker und Wiesen ausgebracht die allerbeste Düngung möglich macht. Agethle: „In vielen Landwirtschaftsgebieten der Welt ist die organische Substanz (ausschlaggebend für die Bodenqualität) der landwirtschaftlich genutzten Böden unter 1% gesunken. Wir bemühen uns täglich, die Bodenfruchtbarkeit zu verbessern.“ Und logo: auf Kunstdünger wird am Englhof völlig verzichtet.

Die ‚Kompostierungsanlage‘ des Englhofes

Verzicht – das große Sparpotential der Kleinbauern

Wenn ich schon von Verzicht am Englhof berichte dann auch davon, dass der Verzicht auf Kraftfutter, Dünge- und Spritzmittel ein riesiges Sparpotential eröffnet. Geld, das den Bauernfamilien längerfristig ein Leben ohne Kniefall vor den Banken ermöglichen kann.

„Ich bekomme seit Jahren keine Weihnachtsgeschenke mehr vom Landhandel, weder Panettone noch den berühmten ‚Toni‘, einen Arbeitsoverall. Denn ich lasse sie nichts mehr verdienen“ lacht Alexander. Der dann stolz von einem Sager seines Vaters erzählt, der die BIO-Umstellung einst zähneknirschend zur Kenntnis genommen hatte. „Er wollte eine kleine Summe Geldes auf uns Geschwister aufteilen und meinte zu mir und meiner Familie, ‚ihr lebt so bescheiden, ihr braucht auch nicht viel.“ 

Dabei leben die Agethles keineswegs bescheiden: sie essen jeden Tag biologische Produkte, kochen jeden Tag, genießen das Leben und den Urlaub im Sommer, wenn die Kühe auf der Alm sind und haben den Paradigmenechsel ein Stück weit verinnerlicht. „Materiell weniger zu brauchen macht absolut Spaß. Ich war zum Beispiel kürzlich zwei Tage auf einer Klettertour. Gesamtkosten: 50 Euro.“

Die Laatscher Alm im Arundatal. Hier verbringt ein Teil der Kühe des Englhofes den Sommerurlaub.

Die Almen als ‚heilige Orte’ bergbäuerlicher Kultur

Politiker führen ja bei allen möglichen und unmöglichen Veranstaltungen das Wort Tradition gern im Mund. Was sie offenbar außerhalb der Trachten-, Schützen- und Jodelveranstaltungen nicht wirklich als Tradition wahrnehmen ist die jahrtausendealte Kultur unserer Almen. Einst ein überlebenswichtiger Bestandteil bäuerlichen Lebens verkommen sie heute zu ‚Tourismus-Hotspots‘. „Die ‚Touristiker’ versuchen immer noch, die letzten ‚heiligen Flecken‘ mit Restaurants und Ladestationen für eBikes zu erschließen“, meint Alexander. 

Das Thema berührt ihn stark. „Wir sollten einen Teil dieser heiligen Orte für uns behalten und sie entsprechend pflegen‘. Der Bedarf an Arbeitskraft auf der Alm ist groß. Auf der anderen Seite die ‚sinnentleerte urbane Gesellschaft‘, die nach Natur lechzt. Es geht darum, diese beiden Gruppen zusammen zu führen. Almen gibt’s nur, wenn sie ‚offen‘ gehalten und händisch gepflegt werden. Wenn das eines Tages aufhört, verschwinden sie und mit ihnen nicht nur eine uralte bergbäuerliche Kultur sondern auch der Tourismus.“

Das Almkreuz auf der Laatscher Alm. Unseren Vorfahren waren die Almen ‚heilig‘.

Alexander kennt unsere ‚Schule der Alm im Valsertal‘ und überlegt, die Ideen auch im Vinschgau umzusetzen. „Wir Einheimische müssen die letzten Flecken erhalten, wenn möglich, gemeinsam mit unseren Gästen. Sie sollten keine Zaungäste sein sondern mit eingebunden werden in das Almleben. Denn ihre Mithilfe wäre sehr gefragt. Ich kann mir ein ‚Drei-Sterne-Programm‘ vorstellen, das aus 3 Tagen Schwenden, Steine auflesen und Mitkäsen besteht, gefolgt von drei Tagen wunderbaren Urlaubs in einem luxuriösen Hotel.“

Schwenden wird jene Tätigkeit genannt, die nachwachsende Fichten, Latschen und Büsche entfernt.
‚Schwenden‘ war die Voraussetzung für die Wiederbenützung eines uralten Bergmahdes im Valsertal.

Englhorn-Crowdfunding für Photovoltaik und eine Wiese

Vor 10 Jahren konnte Alexander Agethle mit einer ersten ‚Crowdfunding-Aktion‘ die finanzielle Basis für den Kauf der Hofsennerei legen. „Zukunftsfähige Landwirtschaft am Englhof“ war damals wie heute das Stichwort. Die Idee hinter der zweiten Aktion: Die Futtergrundlage des Hofes soll mit dem Kauf einer Wiese ebenso abgesichert werden wie die Energie-Sicherheit der Hofsennerei. Zusätzliche PV-Flächen samt Stromspeichern machen es möglich, die Milch auch bei Stromausfällen oder gar Blackouts zu Käse zu verarbeiten und damit die finanzielle Sicherheit des Hofes sicher zu stellen.

Das Dach der Hofsennerei (das Gebäude rechts im Bild) wurde neu mit Photovoltaik ausgerüstet. Das Dach des Betriebsgebäudes ist natürlich bereits mit Photovoltaik belegt.

Der Kauf der knapp 1 ha großen Wiese, die der Englhof schon seit 25 Jahren in Pacht bewirtschaftet, ist eigentlich auch eine Art ‚Schutzdamm‘ gegen das Vordringen der Intensivlandwirtschaft in Form der ‚chemischen Apfelzucht‘. Das Gieren der giftspritzenden Apfelbarone nach weiteren Flächen hat auch in Schleis die Grundstückspreise in astronomische Höhen katapultiert. Man kann es sich kaum vorstellen, aber hier werden bereits mehr als 40 Euro für landwirtschaftliche Flächen bezahlt.

Die Englhof-Kuherde auf der ’neuen Wiese‘. Freunde und Unterstützer des Englhofes können den Ankauf noch bis Ende dieses Jahres unterstützen.

Um nun die Versorgungssicherheit des Englhofes mit Gras und Heu sicherzustellen, kauft die Familie Agethle dieses Grundstück. Wobei sie den Grundstückspreis auf 33 € herabdrücken konnte. Ohne Mithilfe vieler Freunde und Förderer des Hofes wäre eine Finanzierung jedoch kaum überschaubar. 

Aktuell hat der Englhof einen jährlichen Strombedarf von 16.000 kWh. Um diese Menge zu generieren, soll eine weitere Photovoltaikanlage auf der Hofsennerei installiert werden. 

Beide Vorhaben benötigen eine Investitionssumme von 330.000 €. 1⁄4 dieser Summe soll aus Eigenmitteln, 1⁄4 aus einem Kredit der Raiffeisen Ethical Banking und 2/4 aus Vorabverkauf unseres Käses über „Englhorn“-Gutscheine finanziert werden.

Wir alle können Englhof-Gutscheine erwerben

Die Idee hinter dieser Crowdfunding-Aktion: alle, die Gutscheine über 1.000 € oder ein Vielfaches davon erwerben, bezahlen heute schon ihren Käsekauf in den kommenden sieben Jahren. Das Geld wird ausschließlich für den Kauf der Wiese und der Photovoltaikanlage verwendet.

Mit den Gutscheinen kann man auch in feinen Restaurants tafeln

Neu an dieser Finanzierungsbeteiligung sind zusätzliche attraktive Verwendungsformen der Gutscheine. Sie können beim Englhorn-Hofladen in Schleis, bei der Bürger*genossenschaft Obervinschgau mit der Dorfkäserei in Prad und dem Bistro Salina in Glurns sowie dem Hotel Greif, dem Biohotel Panorama, dem Bistro Vinterra, alle in Mals, eingelöst werden. Die Bezahlung der Restauration und Übernachtung in den ob genannten Gastbetrieben ist also auch mit den Gutscheinen möglich. 

Die Details dazu entnehmen Sie bitte den beiden oben abgebildeten pdf-dateien, die Sie direkt herunterladen können.

Eine ‚letzte‘ Vision Alexander Agethles für den Vinschgau

Ein konkretes Projekt möchte Alexander noch umsetzen: einen Reifungskeller für die hochwertigen Käse des Vinschgau. Wissend, dass der ‚Tartscher Bichl‘ mit unterirdischen Bunkergängen durchsetzt ist, hat er Temperatur-Messungen durchführen lassen. Das Ergebnis: die riesigen Stollen weisen eine Temperatur zwischen 10,1 und 10,3 Grad C im Jahresablauf auf. Und das, verbunden mit der vorhandenen Luftfeuchtigkeit, wären geradezu ideale Voraussetzungen zur Reifung von Käse. 

„Ich bin sogar überzeugt, dass wir unsere Käsequalität mit einem solchen Reifekeller derart steigern könnten, dass wir mit unseren Produkten sogar nach Frankreich gehen könnten“ ist er überzeugt.

Aber das ist eine andere, eine neue Geschichte.

Die Veit-Kirche auf dem Tartscher Bichl bei Mals. Unter dem romanischen Kirchlein befinden sich riesige Kavernenanlagen.

FAKTEN ZUM ENGLHOF

  • Die Familie Agethle bewirtschaftet den Englhof seit 200 Jahren
  • Die Hoffläche beträgt derzeit 12 ha Land, davon 11 ha Grünland und 1 ha Getreide (Dinkel und Emmer) im kontollierten, biologischen Anbau.
  • Das Getreide deckt den Eigenbedarf der Familie, wird aber auch an die Bäckerei Angerer in St. Valentin am Reschensee geliefert.
  • Der ‚Arunda‘-Weichkäse der  Englhorn-Hofkäserei wurde 2018 und 2021 mit dem italienischen ‚Käse-Oscar‘ ausgezeichnet. 
  • Die Website des Hofes: https://www.englhorn.com/