Das Viggartal bei Ellbögen birgt ein Geheimnis. Ich bin mir sicher, einen nicht unwesentlichen Beitrag zu dessen Enthüllung geleistet zu haben.
Irgendwie bin ich stolz. Meine Hypothese, wonach in der näheren oder weiteren Umgebung von prähistorischen Kultplätzen in Tirol dreieckige Bergspitzen eine außerordentlich wichtige Rolle spielen, scheint sich zu erhärten. Anders ausgedrückt: prähistorische Kultplätze wurden vor allem dort angelegt, wo es freien Blick auf eine dreieckige Bergspitze gibt, die pyramidenartig in den Himmel ragt. Solche Berge waren vermutlich die Hochaltäre der vorzeitlichen Religionen.
Es handelt sich in diesem Fall also um einen vermuteten Kultplatz mit seinem geheimnisvollen, ja rätselhaften ‚B’schriebenen Stoa‚ (teils auch als Geschriebener Stein bekannt) im inneren Viggartal. Daniel Markl gesteht dem Platz in einem Aufsatz zu, ein mesolithischer Rastplatz gewesen zu sein. Funde ganz in der Nähe des B’schriebenen Stoa belegen, so Markl, dass hier bereits vor mehr als 7.000 Menschen unter einem überhängenden Stein Feuer entfacht hatten. (Siehe Link am Textende).
Aber alle mir bekannten Beschreibungen und Theorien zu diesem riesigen Megalithen übersehen ein wichtiges Faktum, das ich heuer bei einer Erkundung entdeckte. Nämlich die Tatsache, dass die Viggarspitze vom inneren Viggartal aus betrachtet ein ebenmäßig geformtes Dreieck darstellt. Womit für mich klar ist, dass der B’schriebene Stoa auf einem Kultplatz steht.
Das Dreieck als Symbol der Dreifaltigkeit
Das Dreieck war vielen Religionen der Vorzeit ein heiliges Symbol. Die im heutigen Westösterreich siedelnden Räter verehrten schon vor etwa 2.800 Jahren drei Göttinnen, die bei uns in Tirol heute noch als die 3 Saligen Fräulein in Sagen und Mythen lebendig sind. So findet sich in Obsaurs sogar noch ein Bild der drei einst rätischen Göttinnen in der Wallfahrtskirche St. Vigil. Die hatten sogar Namen: Ambeth, Wilbeth und Gwerbeth. (s. unten). Das Dreieck war also eine Art vorchristliche Dreifaltigkeit. War das innere Viggartal mit seinen Blauen Seen für die Menschen der Vorzeit also tatsächlich ein heiliger Platz? Ich wollte mit meiner Begehung des Tales zumindest für mich Klarheit gewinnen.
Schalensteine, Menhire, der B’schriebene Stoa
Allzuoft hatte ich in den vergangenen Jahren eine Tour zu den Blauen Seen und zum ‚B’schriebenen Stoa’ im Inneren Viggartal verschoben. Bis im Sommer 2016, als ich mich endlich aufgemacht hatte, das Tal zu ‚erforschen‘. Ich wollte neben dem B’schriebenen Stoa auch die viel gepriesenen, märchenhaft leuchtenden Blauen Seen besuchen. Um den eher langweiligen Aufstieg von Ellbögen durch das Mühltal zum Meissnerhaus zu umgehen, wählte ich die landschaftlich reizvolle Variante über den Patscherkofel.
Das Meissnerhaus in der Talmitte ist ein Ruhepol, vor allem für Familien. Es wird von deutschen Jugendgruppen sehr geschätzt, die hier einen Teil ihrer Sommerferien verbringen. Und wenn dann noch die Qualität der Küche des Hauses mit der Freundlichkeit der Wirtsleute Schritt hielte, wäre alles in Butter. Auf eine Sehenswürdigkeit im Meissnerhaus möchte ich unbedingt hinweisen: zwei äußerst seltene und wunderschöne Kachelöfen, die aus kunstvoll handgemalten Meissner-Kacheln gebaut wurden.
Auf der Suche nach einer schönen, ‚dreieckigen‘ Bergspitze
Von hier aus begann ich am nächsten Tag, den Talschluss zu erforschen. Meine Ausgangshypothese: der B’beschriebene Stoa steht auf einem einstigen Kultplatz. Meine bisherige Erfahrungen mit Kult- und Wallfahrtsplätzen in Tirol haben mich gelehrt: Tiroler Kultplätze werden meist von ‚dreieckigen‘, sprich pyramidenförmigen Bergspitzen ‚bewacht‘. So, als wären sie eine Art Hochaltar der prähistorischen Kulte. Wenn das innere Viggartal also tatsächlich ein Kultplatz gewesen sein sollte, dann müsste es auch eine möglichst gleichförmige, dreieckig-pyramidale Bergspitze geben. Hier drei Beispiele aus Tirol:
Bespiel 1: Obsaurs mit der Wallfahrtskirche St. Vigilkirche. Die Tschirgantspitze präsentiert sich hier als riesiges Dreieck, als eine monumentale Naturpyramide.
Beispiel 2: der Goldbichl in Igls. Er wird von einem berühmten Berg flankiert, den manche als ‚Tirols Hochaltar‘ bezeichnen. Man muss sich am Goldbichl nur den jetzigen Wald ‚wegdenken’, um zu sehen, dass man vom vermutlich größten Brandopferplatz der Alpen einst einen direkten Blick zur pyramidenförmigen Serlesspitze hatte.
Beispiel 3: Die Kaser bei Vent. Dieser vorerst archäologisch noch wenig erforschte Kultplatz liegt oberhalb von Vent im Ötztal. Lediglich der Volkskundler Prof. Hans Haid hat sich bisher der Kaser in seinem Buch Mythos und Kult in den Alpen ausführlich angenommen. Die Kaser war ein Rastplatz vor der Überquerung des Alpenhauptkamms und dem berühten Steinzeitmann Ötzi ganz sicher bekannt. Steinsetzungen, eine St. Anna-Quelle und vor allem ein Menhir deuten nachdrücklich auf einen Kultplatz hin. Und: Der Platz und sein Menhir werden von der mächtigen, weißen Pyramide der Similaunspitze beherrscht. Ein wahrhaft eindrucksvolles Bild.
Die Viggarspitze: eine riesige Pyramide
Ursprünglich war meine Vermutung, dass der B’schriebene Stoa mit der Kreuzspitze am Talende korrespondiere. Sie machte vom Talboden aus den Eindruck, eine ‚dreieckige Bergspitze‘ zu sein. Also suchte ich schon beim Aufstieg den Blickkontakt mit der Spitze, die sich mir aber gar nicht als gleichmäßiges Dreieck präsentieren wollte. Dafür erschien die Viggarspitze immer mehr als ein wunderschönes, ebenmäßig geformtes Dreieck. Als himmelragende, ebenmäßige Pyramide.
Eine unbeabsichtigte Abweichung vom Wanderweg erwies sich für mich dann als zusätzlicher Glücksfall: im Bereich des Viggar-Hochleger fand ich auf der Wiese dieser Hochalm etliche Schalensteine. Das sind Steine, in die schalenförmige Vertiefungen gebohrt worden sind. Wie? Das ist nicht bekannt. Weshalb? Auch das ist unbekannt. Wann: Kaum zu bestimmen. Sicher ist nur, dass solche Schalensteine sehr oft in der Nähe von prähistorischen Wegen und Almen gefunden werden. Oder an prähistorischen Kultplätzen. Zumindest in Tirol gilt der Satz: Kein Kultplatz ohne Schalenstein.
Beim Aufstieg auf jene Ebene, auf der der ‚B’schriebene Stoa‘ stehen sollte entdeckte ich – eigentlich wenig überraschend, links des Weges einen Menhir. Davon war bisher in keiner mir bekannten Veröffentlichung zum B’schriebenen Stoa die Rede. Ein Menhir ist übrigens für Archäologen ein länglicher, säulenförmiger unbearbeiteter Einzelstein (aus dem bretonischen maen ‚Stein‘, hir ‚lang‘), der aufrecht gestellt wurde.
Weshalb der ausgerechnet hier steht, ist nicht ganz klar. Er könnte eine Art Wegweiser für die Menschen der Vorzeit gewesen sein. Weshalb aber sollte das ein Menhir sein? Weil ich mir völlig sicher bin, dass dieser Stein ‚gesetzt‘ worden ist. Ein Zufall kann es nicht sein, wenn ein zwei Meter hoher, tonnenschwerer Stein kerzengerade und offenbar tief eingegraben in das abschüssige Gelände ausgerechnet hier steht.
Eine erste, halbwegs ebene Fläche beherbergt am Talende dann den berühmten ‚B’schriebenen Stoa‘. Jenen Megalithen also, der in der Fachliteratur bisher nur spärlich beschrieben worden ist. Ob es sich dabei um einen Menhir handelt, wage ich zu bezweifeln. Denn dass dieser Riese von Menschen aufgestellt worden wäre erscheint mir denn doch etwas zu weit hergeholt. Wenngleich es nicht auszuschließen ist.
In der Ellbögener Pfarrchronik von 1835 befindet sich ein Eintrag zu diesem gewaltigen, zwischen neun und 10 Meter hohen Megalithen. Demnach soll der Namen Kaiser Maximilians mit der Jahreszahl 1489 eingehauen sein. Ich konnte davon jedenfalls nichts entdecken.
Auch ein Tiroler Topograph namens Johann Jakob Staffler konnte bereits vor knapp 200 Jahren nichts mehr von der Maximilian-Inschrift entdecken. Neuere Forschungen gehen davon aus, dass es sich bei den sichtbaren Zeichen im Stein um Hofzeichen Ellbögener Bauern handelt. Wie dem auch sei, ich werde im kommenden Jahr noch einmal ins Viggartal pilgern müssen um zu versuchen, verborgene Zeichen mittels Frottiertechnik sichtbar zu machen.
Im Jahr 2018 gelang es mir dann, die rätselhaften Felszeichen im b’schriebenen Stein sichtbar zu machen. Darüber gibt’s einen eigenen Blogeintrag: https://tirolischtoll.wordpress.com/2018/10/29/die-raetsel-des-bschriebenen-stoa-sind-teilweise-geloest/
Dass ich noch einen weiteren Menhir entdeckt habe, zeigt, dass die bisherigen Untersuchungen dieses Kultplatzes nicht allzuweit gediehen sind. Oder dass bisher niemand danach gesucht hat. Ich habe jedenfalls in keiner mir bekannten Abhandlung etwas darüber gelesen. Auch dieser Stein ist mit allergrößter Wahrscheinlichkeit ‚gesetzt‘.
Nun war ich gespannt, ob ich beim Aufstieg zu den Blauen Seen – es muss eine weitere Geländestufe überwunden werden – auf weitere Menhire stoßen würde. Denn Wasser, in Form von Seen oder Quellen in Verbindung mit Menhiren wäre ein weiterer Hinweis auf einen Kultplatz.
Aber es fand sich bei dieser ersten Begehung nichts. Leider. Außer einer ganz wunderschönen Seenlandschaft, die ‚Seegrube‘ genannt wird. Im Sommer 2016 waren es insgesamt sieben größere und kleinere Seen mit kristallklarem Wasser. Ein Ort der Ruhe und Kontemplation. Etwas abseits der Seegrube befindet sich ein weiterer, höchst interessanter See, der jedoch smaragdfarben leuchtet.
Ein erstes Fazit meiner Nachforschungen
Mit dem Ergebnis meiner ‚Forschungsreise‘ kann ich insofern zufrieden sein, dass ich zumindest zwei Menhire gefunden habe, die die Theorie eines Kultplatzes hier im inneren Viggartal weiter stützen. Und dass ich mit der Viggarspitze jenen Berg gefunden habe, der auf die Existenz eines prähistorischen Kultplatz hier hoch oben in den Tuxer Alpen auf 1.950 bzw. 2.200 m Seehöhe deutet. Gestützt wird diese Hypothese teilweise mit Funden in der Nähe des B’schriebenen Stoa aus dem Mesolithikum.
Ob nun der B’schriebene Stoa tatsächlich alte Petroglyphen enthält oder ob es sich dabei um Ritzungen von Hirten handelt, kann ich derzeit nicht sagen. Erhellend kann dabei nur eine weitere Beschäftigung mit dem Stein sein. Konkret: ich werde im kommenden Jahr Frottierungen abnehmen um zu sehen, ob und welche Vertiefungen sich auf den glatten Flächen befinden.
Auch auf der Seegrube muss ich noch zahlreiche Begehungen durchführen, ebenso wie am Smaragdsee. Es bleibt für mich also genug zu tun in diesem wunderschön-geheimnisvollen Tal.
Somit ist meine Hypothese weder verifiziert noch falsifiziert. Bleibt also noch Einiges zu tun. Aber die Wahrscheinlichkeit, das das innere Viggartal einen uralten Kultplatz beherbergt, ist wesentlich größer geworden.
Weiterführende Informationen und Links:
Klicke, um auf Patscherkofel.pdf zuzugreifen
Dominik Markl berichtet in seinem Aufsatz „Vor- und Frühgeschichte der Patscherkofelregion und des Südöstlichen Mittelgebirges bei Innsbruck“ davon, dass in der Nähe des B’schriebenen Steines „unter einem Felsdach zwei Brandhorizonte, also Feuerstellen unterschiedlichen Alters und ein Kratzer aus Silex“ gefunden worden sind. Er gesteht dem Platz zu, ein prähstorischer Rastplatz gewesen zu sein. Die Einritzungen im B’schriebenen Stein betrachtet er als neuzeitlich.
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Gratuliere Herr Kräutler, lese immer wieder begeistert Ihre Beiträge!
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Danke, das freut mich. Und vor allem motiviert es mich, Tirol weiter aus diesem Blickwinkel zu schildern.
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