St. Quirin, ein gotisches Juwel

Viele kennen dieses Kirchlein, nur wenige waren je dort. Und das, obwohl der schlanke Turm des Gotteshauses weithin sichtbar wie ein Kristall aus einem Steilhang ragt. St. Quirin im Sellrain ist eine Perle der Tiroler Gotik. Leichtfüßig erreichbar auf dem Besinnungsweg, der von Gries i. Sellrain nach St. Quirin führt.

Als kleiner Bub hatte ich Woche für Woche auf ein Magazin gewartet, das meine Oma abonniert hatte. Darin wurden österreichische Sehenswürdigkeiten vorgestellt. Und ich bin sicher: auch St. Quirin war dabei. Dieses Kirchlein, das wie ein riesiger Zaunpfahl in einem Steilhang erscheint, hat mein Tirolbild nachhaltig geprägt. 

St. Quirin

Es hatte lange gedauert, bis ich mich erstmals dazu entschloss, St. Quirin zu besuchen. Wie  immer nicht mit dem Auto. Ich nahm einen erbaulich-einfachen Weg und fuhr mit dem VVT-Bus nach Gries im Sellrain, von wo es dann nach St. Quirin mehr abwärts als aufwärts geht. Von St. Qurin nach Oberperfuss ist’s dann ein sogenanntes ‚Lercherl’. 

Blick auf Gries i. Sellrain

Man darf die Tour sogar als Promenade bezeichnen, denn sie folgt einem uralten, heute noch in makellosem Zustand befindlichen Weg. Den hatte Kaiser Maximilian vor mehr als 500 Jahren anlegen lassen. Er geruhte, mitsamt seiner Entourage, darunter allerhand Pfaffen, Händler, Diplomaten und Mätressen, zu Pferd in die Berge zur Jagd zu reiten. Dieser Weg führt in sein berühmtes Jagdrevier in Kühtai. Gute Wege sollten offenbar verhindern, dass irgendwelche Potentaten vom Ross fielen.

Der ‚Maximilianweg‘: heute noch voll intakt.
Der Maximilianweg hoch oberhalb des Sellraintales. Beachtlich: die Trassenlegung.

Von der Kirche in Gries folgt man dem markierten ‚Sellrainer Besinnungsweg’, der hoch über dem Tal auf der Südseite entlang führt. Es ist ein uralter Weg, wie man unschwer feststellen kann. Zu erkennen an den alten Trassierungen aus Trockensteinen, die moosüberwachsen heute noch in bestem Zustand sind.

Alte Höfe und Weiler säumen den Weg mit eigenartig klingenden Namen: Stallwies, Grubach, Duregg oder Perfall. Es geht vorbei an vielen Heuhütten, die einst für die Bergbauern überlebenswichtig waren. Waren und sind sie doch Zwischenlager für das Bergheu, das im Winter dann mit Schlitten geholt wird, wenn wieder Platz im Heustock des Hofes ist. Auch regelrecht museale Stücke sind noch zu bewundern, wie etwa ein alter Holzbackofen. 

Was dem neugierigen Auge allerdings nicht entgeht sind ‚Wunden‘ in den steil abfallenden Bergwiesen. Kleine Hangrutschungen und die sogenannten ‚Plaiken‘ sind erste Anzeichen für einen Verfall der Wiesen. Das wäre in normalen Zeiten nicht weiter gefährlich. Die heraufdämmernde Klimakatastrophe mit ihren Schlagregen könnte hier für mehr als unliebsame Überraschungen sorgen. 

Weshalb ungemähte und ungepflegte Bergwiesen so gefährlich sind? Ganz einfach: Das ungemähte Gras legt sich Jahr für Jahr in Talrichtung an und bildet einen nahezu wasserundurchdringlichen ‚Pflanzenfilz’. Das Wasser rinnt also quasi oberflächlich ab. Wenn das im Zuge eines Schlagregens erfolgt können die Folgen dramatisch sein. Fließen die Wassermassen in eine Plaike sickern sie solange durch, bis sie auf festen Untergrund sind, meist ist das der blanke Fels. Jetzt unterspülen sie die Humusdecke, die dann wie auf Schmierseife abrutscht. Das wussten Bergbauernfamilien schon immer. Früher hatten Bäuerinnen und Bauern dafür gesorgt, dass diese Risse und Mini-Erdrutsche saniert worden sind. Dass immer mehr Bergbauernhöfe ihre Scheunentore für immer Zusperren ist dem kapitalistischen Agrarsystem zu verdanken, in dem diese hart arbeitenden Menschen mit holländischen Landwirtschafts-Industriebetrieben konkurrieren müssen. 

Gefährliche Hangrutschungen oberhalb von Sellrain

Nach rund 2 1/2 Stunden Wanderung auf hervorragenden Wegen – der Kaiser hat vor mehr als 500 Jahren solide bauen lassen – erblicken die Wandersleute St. Quirin. Vor dem majestätischen Panorama des Inntales und der Nordkette liegt dieses gotische Juwel auf 1.243 m Seehöhe. Der Kirchturm ragt wie ein überdimensionaler Bergkristall in den Himmel.

Der ‚Bergkristall‘ unter den Kirchenbauten: St. Quirin im Steilhang des Sellrain

Das Innere dieser Kirche spiegelt die Schönheit der Landschaft wider. Zierlich und lichtdurchflutet, in bester gotischer Manier quasi. Durch das große Fenster eines außergewöhnlichen Vorraumes scheinen die Berge zum Greifen nah. Und wer nun den Schlüssel für das schmiedeeiserne Tor der Kirche im Nachbarhaus holt, betritt einen wahrlich einzigartigen Innenraum. Die hellen Farben, die gotischen Blumenranken und Fresken verleihen dem Kirchlein einen zauberhaften Flair. 

Von Quirin aus führt der alte Weg dann nach Oberperfuss, von wo man – wieder auf einem vermutlich von Kaiser Maximilian angelegten Weg – nach Kematen absteigen kann.

Oberperfuss
Das Dorfzentrum von Oberperfuss samt Margaretenkirche