Ich habe ein Faible für historische Plätze in Tirol. Ich liebe jene uralten Berggebiete, die sozusagen eine jahrtausendealte Geschichte vorweisen können. Wo nicht selten christliche Kirchen neben oder auf vorchristlichen Kultplätzen stehen. Immer aber inmitten außergewöhnlicher Naturkulissen. Einer dieser mystischen Orte ist Obsaurs im Tiroler Oberland. Dort sind sogar noch die prähistorischen Göttinnen präsent.
Was gibt es Schöneres im Frühling, als durch die erwachende Natur zu spazieren? Also machte ich mich kürzlich auf den Weg zu einem außergewöhnlichen Platz im Oberinntal: ich pilgerte nach Obsaurs.
Pilgern? Aber ja. Denn der Aufstieg von Schönwies (ich startete vom Bahhof Schönwies aus) erfolgt auf einer beweisbar uralten Trasse des Tiroler Jakobswegs auf der man nach rund 1 Stunde das eigentliche Ziel erreicht: das St. Vigil-Kirchlein und dessen kuriosen ,Römerturm‘. Der Weg ist übrigens gut beschildert. Zum Beweis, dass dieser Weg von Jakobspilgern beschritten worden war weiter unten.

Ein mystisches Kirchlein an einem mystischen Platz: St. Vigil, die Kirche der 3 Saligen Jungfrauen in Obsaurs.
Nun sind Kirchen und Kapellen beileibe nicht nach jedermanns Geschmack. Aber man muss nicht unbedingt katholisch oder Pilger sein, um Obsaurs zu lieben. Denn das Kirchlein hält einige handfeste Überraschungen parat.
St. Vigil wurde um 1500 eigentlich als kleines Kirchlein im spätgotischen Stil erbaut. Vermutlich wurde eine bestehende, romanische Kapelle überbaut oder ersetzt. Spannend: St. Vigil ist eine der wenigen Kirchen, die einen Blick in die vorchristliche Vergangenheit unseres Landes zulässt. Meines Erachtens ist diese Kirche sogar ein Fenster in unsere rätische Vergangenheit.
Ein Bild – an prominenter Stelle in der Kirche angebracht – und historische Urkunden belegen, dass das Kirchlein dem Hl. Vigil geweiht und drei Königinnen gewidmet ist: Anbett, Gwerbett und Willbett. Das sind jene drei ,Saligen Fräulein‘, die auch im hinteren Ötztal und am Mieminger Platenau bekannt sind. Eine ausführliche Darstellung findet man übrigens auf der fantastischen WebSite SAGEN.at
Ein Bezug der 3 Saligen zur Heiligengeschichte der katholischen Kirche fehlt völlig. Wie kommt also das Bild in eine christliche Kirche? Zeigt doch die Darstellung die „3 Saligen“ als Königinnen vor einer befestigten Stadt. Und: auf dem Gemälde ist nicht ein christliches Symbol abgebildet, was doch einigermaßen bemerkenswert ist.
Wenn man aber in die vorchristliche Vergangenheit zurück geht, macht die Darstellung wiederum Sinn. Die Räter, die unser Land vor dem Einmarsch der Römer besiedelten, huldigten meistens drei Göttinnen. Was jedoch zu betonen ist: unter dem Begriff Räter versteht man weniger einen Volksstamm als eine prähistorische Glaubensrichtung. Woher die Räter stammten ist übrigens heute noch ein Rätsel und immer wieder Anlass für Spekulationen.
In Vorarlberg sind die Namen der Göttinnen andere als in Tirol. Dort sind sie sogar immer noch auf Landkarten zu finden: Rätia, Valluga oder Versettla.
In Obsaurs sind es also Ambett, Wilbett und Gwerbett. Die interessanteste der drei ist sicher Gwerbett, die in ihrer rechten Hand ein Sonnenzepter hält, wie man das oft in Darstellungen Jupiters sieht. Wilbett und Ambett halten jeweils ein Buch und Rosen in ihren Händen.

Gottvater im St. Vigil-Kirchlein: Sein Fresko ist direkt über dem Bild der 3 Saligen angebracht. Damit die Hierarchie wieder stimmt?
Da es wahrscheinlich ist, dass sich der rätische Glaube länger hielt als es vielen katholischen Priestern damals lieb war, hat man die 3 rätischen Göttinnen quasi ,eingemeindet‘: Als Königinnen und „Salige“. Somit wurde der alte rätische Glaube elegant mit dem christlichen Glauben vermischt. Und die Oberhoheit über den Himmel wurde gleichzeitig einem männlichen Gott zugeschanzt. Sicher ist sicher. Und dieser männliche Gott ist denn auch in Obsaurs präsent. Direkt oberhalb des Bildes der 3 Saligen schaut er huldvoll auf seine drei Vorgängerinnen herab.
Herausragend in Obsaurs sind weitere Details. Wie zum Beispiel Rötelstift–Graffiti, mit denen sich Gläubige verewigten. Berühmt ist die Zeichnung eines Jakobspilgers aus 1604, der die Jakobsmuschel mit Wanderstäben an die Wand gekritzelt hatte.
Die Geomorphologie: ein weiteres, ‚rätisches‘ Indiz
Dass Obsaurs ein rätischer Kultplatz war, schließe ich aus einem weiteren Indiz. Vom ,Römerturm‘ aus, der sich auf einer Anhöhe hinter dem Kirchlein befindet, erscheint der Tschirgant als nahezu perfekte Pyramide. Ein natürliches Dreieck, das in den rätischen Kulten offenbar eine große Rolle gespielt hatte und sich in einer Trinität von Göttinnen wiedergespiegelt hatte. Je eine Spitze für Wilbett, Borbett und Gwerbett. Solche Bergspitzen stellten für die Räter sozusagen den Altar dar, vor dem sie ihre Zeremonien abhielten.

Der Tschirgant – von Obsaurs aus als wunderschöne pyramidale Bergspitze zu sehen. Aufnahme mit dem sensationellen digiscoping von Swarovski-Optik.
War Obsaurs ein uraltes Quellheiligtum?
Ob dieser Platz ein altes Quellheiligtum war? Das kann nicht mit Bestimmtheit gesagt werden. Normalerweise befinden sich rätische Kultplätze zumindest in der Nähe von Quellen. Dass heute vor der Kirche ein riesiger Brunnen unter einer noch riesigeren Esche platziert ist, scheint darauf hinzuweisen. Das wunderbar kalte Wasser ist zwar außerordentlich schmackhaft, dürfte aber aus der örtlichen Wasserleitung stammen.
Ich habe vor Jahren bei einer Mutung ‚Wasser‘ lokalisiert, das offenbar unter dem heutigen Friedhof in 5,5 m Tiefe vorhanden ist. Ob das möglicherweise die ‚Urquelle‘ ist bleibt dahin gestellt.
Ja, und da gibt’s noch etwas, das mich fasziniert: die christliche Kirche ist auf einem ovalen Fundament errichtet, das im Westen rund 5 m über das natürliche Niveau ragt. Hier frage ich mich, wann die Aufschüttung erfolgte.
Mein Linktipp: eine hervorragende Darstellung dieses Ortes und seiner Geheimnisse findet ihr auf der wunderbaren WebSite SAGEN.at
Machen Sie doch eine Pilgerfahrt!
Die Wanderkarte zeigt den Weg
Die Anreise: locker und entspannt mit der ÖBB nach Schönwies.
Die Route: Die Wanderung nach Obsaurs beginnt beim Bahnhof Schönwies, wo wir durch die Unterführung auf die südliche Seite der Geleisanlagen gelangen. Dann ostwärts (Richtung Imst), bis zur Abzweigung nach Obsaurs, die mit einem Jakobsweg-Schild versehen ist. Aufstieg zum St. Vigil-Kirchlein über etwas steileres Gelände. Trittsicherheit ist ein Vorteil.
Dauer: ca. 1 Stunde wenn man gemütlich pilgert oder wandert.
Verpflegung: sollte man mitnehmen, da in Obsaurs kein Wirtshaus zur Verfügung steht. Wasser gibt es in allerbester Qualität bei der Vigil-Kirche. Eigentlich ist die Kirche auf einem alten Quellheiligtum errichtet.
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Werner Kräutler!
Wieder eine sehr, sehr interessante und spannende „Geschichte“ aus Ihrer Tastatur und mit guten und informativen Bildern. Bin selbst gebürtiger Imster der schon 45 Jahre im Ausland (N) lebt, und daher ist dieser Artikkel für mich besonders lesenswert. Und ein netter und ganz neuer Blick auf den Imster „Hausberg“ der Tschirgant, ein Blick der mich in der Kindheit jeden Tag begleitet hat. Sehr interessante Geschichte aus der Rätischen Zeit, von der wir ja viel zu wenig gelernt haben. Danke für die Folge und ein nettes Wiedersehen meines beliebten Berges, der Tschirgant, von dem wir Kinder viele Wetter-Regel konnten, damals…
Übrigens – nicht weit von Mils entfernt, entlang der Bundesstrasse, am Milser Gsteig (wo es steil Bergauf geht, Richtung Imst) findet man auch ein kleines Stück bewahrter „Römerstrasse“ wie wir sie damals nannten, Sicher ein Teil der Via Claudia Appia (?) von der Sie im letzten Artikkel (Fernpass – Leermos – Josl Rieder) schon geschrieben haben.
Grüsse aus Norwegen,
Walter Schöffthaler
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Danke für das erneute lob. Das stück römerstrasse, welches sie schildern werde ich suchen und in einen bericht über die via claudia augusta einfliessen lassen. Danke für den hinweis.
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