Seit 40 Jahren setzt ein Mann Steine in Szene. Einfach weil Steine für ihn inspirierend sind. Und hat – sozusagen nebenbei – aus der Zeischalm im hinteren Valsertal ein Gesamtkunstwerk gemacht.
Es war Ende Juni dieses Jahres, als ich zum ersten Mal den Namen Zeischalm hörte. Sigi Ellmauer, ein erklärter Fan des Valsertales, erzählte geradezu leidenschaftlich von der Alm dieses Namens und einem gewissen ‚Erich‘. Von Steinen, Trockensteinmauern und Menhiren. Von Wasserrädern, die allethalben am Weg zur Zeischalm klapperten. Er habe so etwas noch nie gesehen erzählte ein Mann, der als Alminspektor sehr viele Almen kennt.
Also schloss ich mich am darauffolgenden Tag den Bäuerinnen und Bauern aus Vals bei deren Almauffahrt an. Und betrat nach rund 2 Stunden eine Landschaft, wie sie mysteriöser gar nicht sein konnte. Perfekte Trockensteinmauern dienen nicht nur als Wegbegrenzung sondern auch als eine Art Mauer um die Alm. Der eigentliche Eingangsbereich wird von 2 Menhiren gebildet. Ein mehr als ungewöhnlicher ‚Türrahmen‘. Und dann erst die ,Almhütte‘, ein kleines, liebevoll gebautes Holzgebäude, an dessen Fassade dutzende, teils abenteuerlich-absonderliche Erinnerungsstücke angebracht sind. Ich hatte das Reich des Erich Gatt betreten.
Drei Wochen später besuchte ich ihn nochmals und bat ihn, mir das von ihm geschaffene Stein-Territorium zu zeigen und vor allem zu erklären. Mir kam immer wieder der Name Stone-Henge in den Sinn. Vor allem auch deshalb, weil Henge teilweise auch mit ‚Tierpferch‘ übersetzt wird.
Ich war neugierig. Ich wollte wissen, wie und weshalb er dieses Stein-Reich angelegt hat. Was denn die von ihm geschaffenen, überlebensgroßen Stoa-Mandln bedeuten. Weshalb er überhaupt Steine ’setzt‘, sie mit größter Mühe an Standplätze bringt, die ihnen ‚zustehen‘.
Ich habe bei meinem Besuch einen wahrhaft großen Künstler kennen gelernt. Einen Menschen, der völlig im Bann von Steinen ist. Der schon immer eine Vision hatte, mit Steinen zu arbeiten. Der ihre Schönheit erkennt und diese Schönheit durch seine Arbeit erst sichtbar macht. Und das alles, ohne die Steine zu bearbeiten. Ein Mann auch, der Steine als wichtiges Detail seiner großartigen Heimat betrachtet: die des wunderbaren Valsertales. Die Arbeit dieses Mannes ist für mich eine absolut einzigartige Inszenierung, da Erich Gatt die Natur nicht einmal im Geringsten verletzt.
Für mich ist Erich Gatt ist ein ganz großer, bisher noch nicht entdeckter „Land-Art-Künstler“. Ich möchte ihn sogar als Natur-Künstler bezeichnen.
Vor 40 Jahren begann Erich gemeinsam mit seinem Bruder das Dach des Stallgebäudes der Zeischalm zu „reparieren“, wie er sagt. Die Mauern und Almgebäude waren von einer Lawine teils eingedrückt, teils unwiderruflich beschädigt worden. Das Almgebäude selbst wurde gänzlich zerstört.
Auch eine Steinmauer, die wie ein Ring um die Almhütte und den Stall gezogen worden war, war teilweise eingestürzt. Weshalb eigentlich eine Mauer? Heute noch ziehen sich die Alm-Weidetiere zum Schutz bei Schneefall (ja, auch im Sommer sei das auf der Zeisch möglich) hierher zurück. Es waren diese Reparatur- und Wiederaufbauarbeiten, die aus dem gelernten Installateur Erich Gatt den Künstler Erich Gatt geformt haben.
Erich Gatt arbeitet nach einem wichtigen Grundprinzip: dem der Trockenstein-Mauern. Das heißt schlicht und einfach, dass er keinen Mörtel und somit keine künstlichen Bindemittel verwendet. Das Bauen solcher Mauern hat im Alpenraum eine uralte Tradition und wird von Erich Gatt zu neuen, künstlerischen Höhen geführt. Das ist vor allem am Stallgebäude ersichtlich, dessen Außenwände aus schnurgerade erbauten Trockensteinmauern bestehen. Ganz große ‚Baukunst‘.
Neben dem zerstörten Stall war vor 40 Jahren auch die Almhütte selbst kaum mehr zu gebrauchen. Also renovierte Erich auch diese. Aber das ist längst noch nicht alles. Sein ganzer Stolz sind die ,Stoa-Mandln‘, die wie Wächter über die Alm wachen. Um die zwei mächtigsten zu sehen, müssen wir uns auf den Weg nach oben machen, in die „Wildau“.
Rund 150 m über der Alm gelegen, sind sie für die Besucher der Alm schon von weitem zu sehen. Erichs Stoa-Mandln haben eine Gemeinsamkeit: sie haben einen Kopf und zwei Arme, die sie ausstrecken. So, als wollten sie die wunderbare Welt der Zeischalm schützen. „Bis hierher und nicht weiter.“ Sie sind übrigens sogar vom Tal aus mit einem Fernglas zu sehen.
Hier heroben in der Wildau hat man einen fantastischen Blick auf die Berge. Die ,Hohe Kirche‘ und die ,Hohe Wand, die berüchtigte Schmugglerroute der Pfitschscharte und der ,Kraxentrager‘ bilden eine unvergleichliche Kulisse für den Auftritt der Stoa-Mandle des Erich Gatt.
Dass diese Objekte hier entstanden sind, hat auch noch einen relativ einfachen Grund: die Wildau wurde vor zig Jahren vom Ausbruch eines Gletschersees arg in Mitleidenschaft gezogen. Steine bedeckten die kleine Hochebene, alles war ,so unordentlich‘ sagt Erich. Er räumte auf, befestigte mit den Lesesteinen das Bachbett und baute damit auch seine Natur-Skulpturen.
Hier ist offenbar der Künstler Erich Gatt geboren worden. Denn Erich hielt und hält immer noch nach neuen, ’schönen‘ Steinen Ausschau. Vor einigen Tagen hat er wieder einen gefunden, schlank, wunderbar glatte Seiten und eine dreieckig zulaufende Spitze. Diesen Stein will er aufstellen, sagt er.
Und weshalb eigentlich stellt er Steine auf, wollte ich wissen. Seine Antwort ist genauso kurz wie bündig: „Weil Steine schöner sind wenn sie stehen als wenn sie liegen.“ Ist das vielleicht auch der wenig spektakuläre Grund, weshalb unsere Vorfahren Menhire errichteten? Weil Steine einfach schöner sind wenn sie stehen als wenn sie liegen? Erichs Antwort gab und gibt mir jedenfalls zu denken. Denn dann wären die ersten Megalithbauwerke einfach zu erklären.
Wasser ist das zweite künstlerische Element des Land-Art-Künstlers Erich Gatt. In der Wildau befestigt er mit ausgesuchten Steinen das Bachbett, mit dem Wasser betreibt er eine Mini-Turbine, um ein wenig Strom für die Alm zu produzieren. Aber auch hier fehlt nicht die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Element Wasser: Er nützt das Wasser seines ,Reiches‘ auch für einen kleinen Pool in Herzform, den er für die Kinder in der Wildau angelegt hat.
In einer außergewöhnlichen Kombination hat Erich Gatt Stein und Wasser vermischt: in der Zeisch-Dusche, gleich neben dem Stallgebäude der Alm. Die Dusche – umgeben von leibhaftigen Menhiren – gibt den Blick auf das Valsertal während des Duschens frei. Eine einzigartige Konstruktion die ihresgleichen sucht.
Ja, und dann sind da noch die vielen Mini-Mühlräder, die entlang des Weges und vor der Zeischalm-Hütte vor sich hin klappern. Das größte davon steht jetzt allerdings im Mühlendorf in Gschnitz. Ein Gerät mit 89 Klöppeln.
Auch die Mühlräder hat Erich Gatt aus Freude an der Schönheit und an der Funktionalität geschaffen. Und am Steig zur Zeischalm angebracht, um den nach oben keuchenden Wanderer etwas Zerstreuung zu bieten. Wer auf das Bild einer solchen Klappermühle klickt, ruft damit einen kleinen Videofilm ab.
Wichtige Hinweise für all jene, die das Kunstwerk Zeischalm besuchen wollen:
- Die Alm ist nur zu Fuß erreichbar.
- Erich Gatt ist im Juli und August meist auf der Alm anwesend.
- Wer mit dem Auto ins Valsertal fährt, tut das bis zur ‚Touristenrast‘ ganz am Ende des Fahrweges. Besser ist es, den Bus vom Bahnhof Steinach zu nehmen, der ebenfalls bis zur Touristenrast fährt.
- Von der ‚Touristenrast‘ sind es dann rund 2 Stunden bis zur Zeisch. Gutes Schuhwerk ist nötig, eine minimale Trittsicherheit ist Voraussetzung für den Aufstieg.
- Es ist üblich, dass Besucher der Zeisch auch einige Waren zur Alm transportieren. Diese sind in einem kleinen Häuschen gelagert, an dem man auf alle Fälle vorbeikommt. Also einige Waren in den Rucksack packen und los geht. Es gibt nämlich keine Transportseilbahn auf die Alm.
- Erich ist sehr gastfreundlich und schenkt den Besucher_innen gerne Schnaps aus. Auch Bier ist auf der Alm (normalerweise) erhältlich. Aber das kann nicht gratis sein. Also bitte unbedingt freiwillige Spenden in die dafür vorgesehene Kassa schmeißen. Denn Erich kann nicht ganz Tirol einladen!
wunderschön!!! sommerliche Grüße aus dem Süden Tirols… Alexia
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herzlichen dank. grüße retour in den süden!
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Ein wahrer Künstler und vor allem ist hier auch die körperliche Schwerarbeit zu bewundern, Gratulation, macht Lust, die Zeischalm zu besuchen.
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Ja angelika. Ein besuch ist allemal ein erlebnis!
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