Es ist ein fulminanter Abschluss der Pilger- bzw. Wandertouren eines Jahres. Diesmal allerdings auf einer als Jakobsweg bezeichneten Strecke, die historisch nicht nachzuvollziehen ist: Von Stams über das Außerfern nach Oberstaufen. Und dennoch ist die erste Etappe dieser „Tiroler Nord-West-Passage“ von einem landschaftlichen Reiz sondergleichen geprägt.
Es war sicherlich einer der brillantesten Herbsttage dieses sonnendurchfluteten Jahres, den ich für eine – ja nennen wir es Pilgerfahrt – von Stams nach Nassereith nutzen durfte. Ein einzigartiges Feuerwerk der Farben begleitete mich stundenlang auf der etwa 20 km langen Strecke über das Sonnenplateau Mieming nach Nassereith. Und nichts traf meine Stimmung besser als Rainer Maria Rilke mit seinem Herbstgedicht:
Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren lass die Winde los.
Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.
Dass ich diese Beschreibung hier und nicht auf meinem Pilgerblog online stelle hat einen guten Grund. Denn die Route von Stams via Außerfern nach Oberstaufen ist alles andere als historisch belegt. Da geht es über 3 Pässe. Und so was haben die mittelalterlichen Pilger_innen tunlichst vermieden. Die waren ja nicht blöd.
Wie dem auch sei. Die 1. Etappe von Stams nach Nassereith führt jedenfalls durch Bilderbuch-Landschaften. Für mich gehört diese Strecke zu den schönsten und interessantesten Wanderstrecken, die ich im heurigen Sommer hinter mich gebracht habe. Und das waren nicht wenige…
Schon kurz nach dem Start beim Stift Stams erwartet den forschen Wandersmann / die feinsinnige Wandersfrau ein ausgesprochenes Naturjuwel: der Stamser Eichenwald. Um in der Folge im Anblick der schlanken, wunderschönen Wallfahrtskirche Maria Locherboden den Inn nach Mötz zu überqueren. Um dann ein immer enger werdendes Tal zu betreten.
Ich möchte an dieser Stelle auf einen Umstand verweisen, den nur wenige Menschen in Tirol wirklich kennen: Mötz ist auch ein Dorf der Jenischen. Diese in Tirol auch als ,Karrner‘ bezeichneten Menschen siedeln schon seit langem im hinteren Bereich des Klammweges in Mötz. Ich empfehle herzlich, die Abhandlung auf Wikipedia über die Jenischen zu lesen.
Anschließend wird‘s eher abenteuerlich, denn nun durchschreitet der kühne Wandersmann / die forsche Wandersfrau die Mötzer Klamm. Da benötigt es doch einigermaßen Trittsicherheit, um den wunderschönen Wasserfall zu erreichen, der durch eine unwahrscheinlich schmale Schlucht herabstürzt. Immer in Blickkontakt zur hoch aufragenden Burg Klamm. Oder Schloss Klamm, je nach dem wie man dieses wunderschön restaurierte Gemäuer hoch über dem Oberinntal auch immer nennen mag.
Vorbei also am märchenhaften, in Privatbesitz befindlichen Schloss Klamm samt dazugehörendem Fischteich geht‘s weiter nach Obsteig und fürderhin zum Arzkasten, einer Art Thronsessel auf dem Mieminger Plateau. Immer die Mieminger Berge vor Augen, die sich als Gebirgsmassiv gegen Norden hin auftürmen.
Am Holzleitensattel dann der Blick ins Gurgltal und auf die Außerferner Bergspitzen. Es wär‘ für mich keine Wandertour, geschweige denn eine Pilgerfahrt, wenn dabei nicht irgendwelche Früchte zu ernten wären. Weshalb ich auch den Herbst als Pilgersaison so liebe: da reifen Äpfel, Birnen und Beeren dass es eine Freud‘ ist. Und ein Pilgerstock ist ja seit jeher auch gleichzeitig ein Erntehelfer, mit dem die frommen Pilgersleut‘ reife Zwetschken genauso vom Baum holen wie Äpfel und Birnen. Meistens zum Missfallen der Bauern. Ok, diesmal waren es nur Hagebutten, die mir quasi wie reife Früchte in meine Sammeltasche fielen.
Der Abstieg nach Nassereith erfolgt dann auf der alten Fahrstraße, die vermutlich jahrhundertelang als Verbindung des Mieminger Plateaus mit dem Gurgltal und in weiterer Folge dem Außerfern gedient hatte. Es gibt sogar Vermutungen, dass die Römerstraße auf dieser Trasse verlaufen sei. Dann geht’s vorbei an den Resten einer Sportart, die heute so gut wie verboten ist: ich passiere das einstige Clubhaus des Naturbahn-Bobvereines Obsteig-Nassereith. Allein die Vorstellung, dass sich die wilden Hunde auf dieser Strecke vom Holzleitensattel bis zum Gasthof Waldesruh in 4er-Bobs hinuntergeschmissen hatten löst bei mir Gänsehaut aus.
Eine weitere historische Reminiszenz verbirgt sich ebenfalls an diesem alten Weg: die Werkstatt des ehemaligen „Zeug- und Wagenschmiedes“ Leopold Ruepp am Rossbach. Ein Zeugschmied stellte übrigens Werkzeuge her und war daher in der einstigen Bergwerksgemeinde Nassereith tatsächlich wichtig.
Nach rund 6 Stunden bummelnden Wanderns (andere würden pilgern dazu sagen) trifft der interessierte Wandersmann / die neugierige Wandersfrau schließlich frohgemut in Nassereith ein.
Eine Ein-Tages-Tour, wie es sie schöner kaum gibt.
Lieber Pilgerbruder Werner,
ich krieg so eine Lust, auf den von Dir beschriebenen Wegen durch Tirol zu pilgern!
Ist ja nicht so weit weg von mir.
Besonders dieser wahnsinnig blaue Himmel hat´s mit angetan!
Allzeit guten Weg!
Gertrudis
LikeGefällt 1 Person
Willkommem in tirol. Falls du weitere tipps brauchst- einfach bei mir melden. Bei schönem wetter werd ich übrigens nächste woche den fernpass auf der röm. claudia augusta-strasse überschreiten.
LikeLike