Als der Hass explodierte: Die Calvenschlacht bei Laatsch

Tirol wurde vor mehr als 520 Jahren von einem blutigen Gemetzel erschüttert: die ‚Battaglia da Chalavaina‘, die Calvenschlacht auf der Malser Heide mit ihren für den Oberen Vinschgau katastrophalen Folgen. Sie hatte sogar Folgen für Europa. Ich schildere in einer kleinen Serie, wie es zur brutalen Auseinandersetzung der Habsburger mit den Eidgenossen und den Drei Bünden kam und welche Konsequenzen das Morden hatte.

Zu den bevorzugten Hobbies meiner alten Tage zähle ich die Erkundung historischer Vorgänge rund um Kaiser Maximilian I. Meine Leidenschaft gilt der, wie ich sie nenne, ’experimentellen Geschichtserkundung‘. Darunter verstehe ich Recherchen an historischen Orten, um räumliche Vorgänge in ihrer Dimension vor Ort erfassen zu können. Zwei Beispiele: ich bin vor Jahren auf dem ‚Maximiliansteig‘ in die Martinswand eingestiegen um zu sehen, wie ausweglos die Situation Maximilians bei seiner dramatischen Rettung tatsächlich gewesen war. (Sie war es übrigens ganz sicher nicht.) Im Sellrain und dem Viggartal habe ich bei Wanderungen jene Wege gesucht und gefunden, auf denen der Imperator mit seiner Entourage hoch zu Roß in seine Jagdgebiete geritten ist. Ich wollte schlicht und einfach wissen, ob solche Ritte den – angeblich – mitreisenden Damen, Diplomaten und hochkarätigen Kirchenfürsten zumutbar gewesen waren. Sie waren es, wie ich hier beschrieben habe.

Maximilians Reitweg hoch über dem Sellrain zwischen St. Quirin und Gries. Hier ritt man zu den vergnüglichen Jagdausflügen ins Kühtai. Foto: W. Kräutler

Schöngeist und Kriegsfürst

Viele meiner ‚experimentellen’ Erkundungen widme ich also jenem Herrscher, der Innsbruck zur Residenzstadt und Tirol zu einem Zentrum der spätmittelalterlichen Landkarte gemacht hatte. Maximilian liebte dieses Land wie kein anderes. Am Ausgang des Mittelalters und in der aufkommenden Renaissance war der Mann mit der kühnen Hakennase einerseits Schöngeist und Genie. Andererseits entpuppte er sich als eitler Geck und rastloser Kriegstreiber. Man will es kaum glauben: 27 Kriege führte der ‚letzte Ritter‘ zu Lebzeiten. Unsummen von Geld ließ er im wahrsten Sinn des Wortes in Schall und Rauch aufgehen. Die eigentliche, tragische Seite seines Treibens wird von der Geschichtswissenschaft zu wenig beachtet: Maximilians Kriege brachten Tod, Leid und Verderben für hunderttausende Menschen, deren Nachwirkungen heute noch zu verspüren sind.

Maximilian theuerdank
So ließ sich Maximilian gerne darstellen: als Förderer der schönen Künste. Dabei war er auch ein übler Kriegstreiber. Bild: wikipedia

Aufmerksame Spaziergänger_innen wandeln in Tirol nicht selten auf den Spuren Maximilians. Vor allem die Bauten des ‚letzten Ritters‘ wie etwa das Goldene Dachl oder das Innsbrucker Zeughaus haben Kultcharakter. Als erster der gekrönten Häupter Europas erkannte er denn auch die Möglichkeiten des eben erfundenen Buchdrucks. Damit konnte ja vortrefflich Werbung in eigener Sache gemacht werden. Kurz entschlossen hat er auch gleich vier Biografien in Auftrag gegeben und seinen Schreibern bei jeder sich bietenden Gelegenheit Schnurren aus seinem Leben – ordentlich geschönt – diktiert. Ein glanzvolles Beispiel seiner genialen mittelalterlichen PR-Tätigkeit ist seine ‚wundersame Errettung aus der Martinswand‘. Eine Aktion, die er in seiner Biografie ‚Theuerdank‘ abfeierte.

Maximilian in der Martinswand
Maximilian in der Martinswand auf einem Gemälde von Ferdinand Graf zu Harrach. Foto: Kunstsammlungen Weimar

So selbstsicher wie er auftrat war er aber nicht. Maximilian wurde zeitlebens von zwei Ängsten geplagt: nämlich ‚beim Glockenton‘ vergessen zu werden und im gleichen Aufwasch der ewigen Verdammnis anheim zu fallen. Seine Bauten sollten deshalb sein Andenken über den Tod hinaus erhalten. Und die Sache mit der Hölle war ihm so ungeheuer, dass er zur Sicherheit auf all seinen Jagden und Reisen immer einen Reise-Altar samt dazugehörigem Kaplan mitführen ließ. Das tägliche Hören der Messe ließ ihn hoffen, nach seinem Tode nicht mit Karacho in die Hölle zu fahren.

Der Kenotaph Maximilians in der Innsbrucker Hofkirche zeigt Maximilian demutsvoll betend. Er hatte zeitlebens Angst vor ewiger Verdammnis. Foto: W. Kräutler

Maximilian wurde ungewollt zum ‚Taufpaten‘ der Schweizer Unabhängigkeit

Einer jener Gründe, die wir als ‚zufällig‘ bezeichnen, war es auch, der mich auf die Calvenschlacht aufmerksam gemacht hatte. Bei einer Führung durch die romanische Benediktkirche in Mals hörte ich erstmals davon, weshalb die Kirchen des Vinschgaus meist nicht spätgotisch oder barock umgestaltet worden waren. Die Folgen der Calvenschlacht waren im Oberen Vinschgau noch Jahrhunderte zu verspüren. Da war kein Geld für barocken Firlefanz vorhanden. In den Schulen, so versichern mir Vinschger, seien die Engadiner und Schweizer noch lange negativ dargestellt worden. Wie überhaupt das Verhältnis zum angrenzenden Engadin heute noch ein eher zwiespältiges sei. Man traue denen immer noch nicht so wirklich über den Weg.

Benediktkirche, Martinskirche Mals
Die Türme der romanischen Benediktkirche und St. Martinskirche in Mals sind quasi stumme ‚Zeugen‘ der Auswirkungen der Clavenschalcht auf den Oberen Vinschgau. Foto: W. Kräutler

Wie gesagt: ganz besonders spannend ist es für mich, historische Begebenheiten vor Ort zu erkunden. Meine zahlreichen Aufenthalte in Mals im Oberen Vinschgau haben mich denn auch motiviert, die Landschaft einer für Europa entscheidenden Schlacht näher in Augenschein zu nehmen. Ein Gemetzel, das am Ausgang des Münstertales auf der Malser Heide – auch Untercalven genannt – in einem Blutbad endete und dem Vinschgau anschließend Tod und Verwüstung samt einer jahrhundertelangen Agonie bescherte.

Cosmas und Damian Kirche Laasch
Die Cosmas und Damiankirche, im Hintergrund der Kirchturm der Laatscher Leonhardkirche. Am 22. Mai 1499 wäre ich als Fotograf inmitten des Schlachtgetümmels gestanden. Foto: W. Kräutler
Gedenksäule Calvenschlacht Laatsch
Der Gedenkstein zur Calvenschlacht bei der Kirche Cosmas und Damian in Laatsch in unmittelbarer Nähe zur einstigen Schanze der Habsburger Truppen. Auf dem freien Gelände tobte die Schlacht, in der Nähe des Kirchleins werden noch Massengräber vermutet. Foto: W. Kräutler

Zwei Dinge interessierten mich in diesem Zusammenhang besonders: Wie war es überhaupt zu einer derart gewaltigen Schlacht mit all den unsäglichen Folgen für den Vinschgau gekommen? Vor allem aber wollte ich mich in die Rolle eines jener Landsknechte versetzen, die mit einer genialen Finte das überlegene Heer Maximilians geschlagen hatten. Welche Mühen und Strapazen mussten diese Freiheitskämpfer auf sich nehmen, um am Donnerstag, 22. Mai 1499 am Ausgang des Münstertales zwischen Glurns und Laatsch einen Sieg gegen eine erdrückende Übermacht zu erringen?

Laatsch, Schauplatz einer der brutalsten Schlachten der Schweizerkriege. Im Hintergrund sieht man Glurns. Dazwischen tobte die Calvenschlacht. Foto: W. Kräutler

Unbestritten ist auch, dass die ‚Calvenschlacht‘ neben all dem unfassbaren Leid schlussendlich zum ‚Zeugungsakt zur Schweizer Unabhängigkeit‘ wurde. War sie doch das endgültige Fanal zur konkreten Loslösung Graubündens und der damals schon bestehenden Eidgenossenschaft aus dem direkten Einflussbereich des Habsburger Reiches. Eine Unabhängigkeit, die bis in unsere Tage wirkt und die sich zu einer der spektakulärsten Geschäftsgrundlagen der Weltgeschichte mauserte: zum Bankplatz Schweiz.

Meine ‚Serie‘ zur Calvenschlacht

Ich möchte meine Erkundungen in vier Teilen schildern. Der erste Teil beschäftigt sich mit den eigentlichen Gründen für die blutige Schlacht an der Calvenbrücke bei Laatsch, einer Fraktion der Gemeinde Mals. Ein zweiter Teil schildert meine konkreten Erkundungen vor Ort im Gasthof Chalavaina in Müstair, auf dem Tellajoch, im Arundatal und in Laatsch. Im dritten Teil widme ich mich dann den schrecklichen Folgen der Schlacht im Oberen Vinschgau.

Es ist mir wichtig festzuhalten, dass diese Blogserie nicht nach wissenschaftlichen Kriterien erstellt wurde. Mit der Darstellung dieser für mich bedeutendsten Schlacht auf Tiroler Boden – ja, die Bergisel-Schlacht war nix dagegen – möchte ich auf die mittelalterliche Brutalität verweisen, mit der diese Auseinandersetzungen geführt worden sind. Und welche Auswirkungen diese Schlacht bis herauf in unsere Tage hat. Ich habe mich bemüht, die verschiedenen historischen Betrachtungen zusammen zu fassen.

Ich habe in meinen Blogbeiträgen mehrere Literaturquellen verwendet. Dazu gehören:

Mercedes Blaas: Zur Vorgeschichte und zu den Auswirkungen der Calvenschlacht im Vinschgau; Das Calvengeschehen aus tirolischer Sicht.; Caviezel, Mario:: Erinnerungen an die Calvenschlacht 1499 und an Benedikt Fontanas Heldentat : der „FontanaMythos“ im Spannungsfeld soziokultureller Tradition und politischer Modernisierung. Bundi, Martin: „Calven, Schlacht an der“, in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 15.03.2006. Florian Messner: Kaiser Maximilian I. und die Kriegsführung seiner Zeit – Emperor Maximilian I. and the Warfare of his times; Untervazer Burgenverein Untervaz: 1499 Die Schlacht an der Calven; Calvenfeir Organisationskomitee: Der Anteil Graubündens am Schwabenkrieg; Festschrift zur Calvenfeier; DIE WELT: Schweizer Fußtruppen machten keine Gefangenen; Verschiedene Beiträge in wikipedia, vor allem aber: Die Calvenschlacht; Schwabenkrieg; Historisches Lexikon Bayerns: Schwabenkrieg/Schweizerkrieg, 1499;

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