Geheime Inschrift am Goldenen Dachl entziffert

Ein Buchhalter schaffte, was Historiker, Kunstkenner und Semiologen in mehr als 500 Jahren nicht geschafft hatten: Er entzifferte die Geheimschrift am Goldenen Dachl in Innsbruck.

Es war eine Zeitenwende, als Kaiser Maximilian seinem Hof- und Leibarchtekten Niklas Thüring d. Ä. den Auftrag gab, einen Prunkerker am Neuen Hof inmitten der Stadt zu errichten. Um genau zu sein, man schrieb das Jahr 1497. Einerseits sollte es eine Hommage an seine zweite Ehefrau, Maria Sforza werden. Andererseits liebte der Kaiser Pomp und Trara. Und wo konnte er sich und seine Macht besser und monumentaler in Szene setzen als inmitten seiner Residenzstadt?

Das Zentrum Tirols ist der Platz vor dem Goldenen Dachl. Das war bereits zu Zeiten von Kaiser Maximilian so.

Es war damals auch die Zeit, in der allerlei Geheimschriften, obskure Zeichen und codierte Andeutungen fröhliche Urständ feierten. Viele der dargestellten Szenen am Goldenen Dachl sind deshalb für unsere ‚modernen’ Augen fremd. Vor allem die Relieftafeln sind hintergründig und geheimnisvoll. Ja sogar rätselhaft. 

Die Rätsel der Relieftafeln

Ein erstes Rätsel der Relieftafeln wurde denn auch gleich einmal gelöst. Der Großteil der Tafeln stellt Tänzer dar, die in Gesellschaft von allerlei Getier in offenbar eckigen Bewegungen tanzen. Es handelt sich dabei um sogenannte ‚Moriskentänzer’. Die Wissenschaft ist sich heute mehr oder minder einig dass sich dieser in der Renaissancezeit beliebte Tanz durch verschiedene Sprünge und Körperverdrehungen auszeichnete. Akrobatische Fähigkeiten waren ganz offenbar vonnöten. Und das hat den traditionellen mittelalterlichen Gauklern in die Hände gespielt.

Moriskentänzer am Goldenen Dachl

Moriskentänzer am Goldenen Dachl. Im Hintergrund: das mysteriöse Spruchband.

Ein weiteres Rätsel war die Darstellung zweier Personen, die links und rechts des römisch-deutschen Imperators Maximilian auf einem der Reliefs abgebildet sind. Schon im vergangenen Jahr sorgte die Maximilian-Expertin Dr. Sabine Weiß für einiges Aufsehen. Sie wies in ihrer Maximilian-Monografie anlässlich des 500. Todestages Maximilians nach, wer der rätselhafte Gaukler mit den Eselsohren an der Frontseite des Erkers tatsächlich ist. Es handelt sich um Maximilians Vater, den Kaiser Friedrich III. Nun weiß man also, von wem Maximilian seine prägnante Hakennase geerbt hatte. Der Mann rechts von Maximilian ist übrigens sein Onkel, Herzog Sigmund der Münzreiche, dem er aus der finanziellen Klemme geholfen hatte. Ich habe das bereits in einem anderen Blogpost beschrieben.

Friedrich-III.

Maximilians Vater, Friedrich III im Gauklerkostüm und mit Eselsohren.

Relief Goldenes Dachl

Die zentalen Relieftafeln am Goldenen Dachl zeigen Maximilian mit seinen beiden Ehefrauen. Rechts mit seinem Vater Friedrich III. im Narrenkostüm und Sigmund dem Münzreichen. Im Hintergrund wiederum das mysteriöse Spruchband.

Das dritte Rätsel blieb bis vor einigen Monaten – zumindest in der Öffentlichkeit – ungelöst. Eine Andeutung des Innsbrucker Stadtarchivars DDr. Lukas Morscher elektrisierte mich. Der rührige Historiker erzählte mir von einem Mann, der behauptete, auch das allerletzte, das schwerste Rätsel des Goldenen Dachl gelöst zu haben. Nämlich die Dechiffrierung des Spruchbandes, das sich über den Relieftafeln dahinschlängelt. Seit Bestehend dieses prachtvollen Bauwerks versuchten sich Myriaden von Schriftgelehrten, Historikern und Zeichendeutern in der Decodierung mysteriöser Zeichenfolgen. Bisher völlig erfolglos.

Das Spruchband am Goldenen Dachl

Ich machte mich ratz-fatz auf den Weg und besuchte jenen Mann, der sich seit Jahren um die Decodierung bemühte und nun überzeugt war, die Lösung des Enigmas gefunden zu haben. Ich fuhr also nach Lermoos, um den Buchhalter der Gemeinde aufzusuchen. So unglaublich es klingt, aber Erhard Maroschek ist zwar studierter Historiker und Germanist, werkt aber dort mit großem Vergnügen als oberster Truchsess. Und er behauptet also, das Rätsel gelöst zu haben.

Geheime Zeichen am Goldenen Dachl

Diese Zeichen galt es zu enträtseln.

Ich nehme an, dass Maximilian die Absicht hatte, dass der Inhalt des Spruchbandes nie gelöst wird. Handelt es sich doch um eine in ihrer Ausführung völlig unbekannte Phantasieschrift. Auf den ersten Blick scheinen die einzelnen Buchstaben dem hebräischen Alphabet entlehnt. Bei genauerem Hinschauen glaubt man auch, cyrillische Anklänge zu erkennen. Nur eben keine Buchstaben, wie sie unser Alphabet verwendet. Genau dieses Jahrhunderträtsel soll jetzt gelöst worden sein. Und das auch noch im Außerfern.

Meine logische erste Frage: wie enträtselt man eine Schrift, deren Inhalt nicht einmal in den gröbsten Zügen bekannt ist? Das muss ja eine Herkulesaufgabe sein. Ihn faszinieren alte Schriften, rätselhafte Zeichen und geheime Symbole, sagt er. „Das Spruchband vom Goldenen Dachl interessiert mich schon seit den 90-er Jahren.“ Wie findet man den roten Faden für eine Decodierung? Das interessierte mich brennend.

Erhard und Waltraud Maroschek

Erhard und Waltraud Maroschek am Balkon ihrer Wohnung in Leermos mit Blick auf das Zugspitzmassiv.

Dazu sei Geschichtswissen nötig. „Mein Universitätslehrer war  Professor Hermann Wiesflecker. Der wiederum war einer der absoluten Kenner Kaiser Maximilians I.“, sagt Maroschek. Aber das macht die Sache nicht wirklich einfacher, werfe ich ein. Wie war es ihm also gelungen zu enträtseln, was 520 Jahre ein Geheimnis war? Und dessen Ergebnis – das möchte ich vorausschicken – meines Erachtens überaus stimmig ist. Zudem werden die goldenen Ziegel am Dachl zu einem nun erklärbaren Symbol, erstrahlt es doch in göttlichem Glanz.

Geheime Zeichen, alchemistische Symbole

Maroschek musste sich in eine Zeit hineinversetzen die geprägt war von der Erforschung allerhand unbekannter Schriften. Es war die Hochblüte magischer Quadrate, Geheimzeichen und Rätsel. Inmitten dieser Gemengenlage tauchen Albrecht Dürer und Leonardo da Vinci auf, die kryptischen Zeichen und alchemistischen Symbolen stark zuneigten. „In dieser Zeit haben Spruchbänder auf Fresken und Gemälden quasi Hochsaison“ erklärt mir Maroschek. Während den Analphabeten Darstellungen präsentiert wurden, die mit ´Attributen versehen sind –  wie etwa Petrus mit dem Schlüssel – blieb die Schrift nur für Gebildete lesbar. 

Den rote Faden finden und aufnehmen

Wie findet man – im Dunkeln tappend – den roten Faden zur Decodierung des Spruches? „In der Epigraphik“ sagt Erhard Maroschek locker vom Hocker. Also in der Wissenschaft von der Erkundung alter Inschriften. Und da habe er ein nützliches Werk zur Hand: Das „Lexicon Abbreviaturarum“ von Adriano Capelli aus dem Jahre 1928.

Erst muss klar sein, ob der Text von links nach rechts oder umgekehrt verläuft. Maroschek: „Bleibt weiter abzuklären, ob Zeichen im Text enthalten sind, die einen Konnex mit der Alchemie, der Astronomie oder dem Freimaurertum offenbaren.“ Da ein Zeichen des Bandes an das astronomische Zeichen für den Saturn erinnert ließ er auch dies in seine Forschungen einfließen. 

Die nächste Hürde: Mittelalterliche Zeichen für Abkürzungen

Als wenn das alles nicht kompliziert genug wäre: Im Mittelalter war es bei Schreibkundigen beliebt, Abkürzungen zu verwenden. Ein Abkürzungs-Zeichen ist uns noch bekannt: das „&“. Näher betrachtet ist es eine grafische Verkürzung des Wortes ET. Aber: beim Dachl schieden alle Varianten von Abkürzungen aus.

Mittelalterliche Abkürzungen

Beispiele für mittelalterliche Abkürzungen.

Dann aber die zentrale Frage: in welcher Sprache ist die Schrift im Band am Goldenen Dachl abgefasst? Da kam natürlich auch Latein in Frage. Ein ‚normaler’ Mensch gibt gleich auf, wenn er solche Ausgangslagen vor sich hat. Nicht so Erhard Maroschek. Mehr noch. Er stellte sich eine weitere Frage: aus welcher Position ist der Text lesbar? Vielleicht für jene, die auf dem berühmten Erker stehen und nach unten blicken? Oder ist die Schrift nur für unten Stehende lesbar?

Die Decodierung bewegte sich dann auf ein Ergebnis zu, als Maroschek ein Moriskentänzer auffiel, der mit gestrecktem Zeigefinger direkt auf einen Buchstaben deutet. War das der Beginn des Textes? Man muss sich das einmal vorstellen: Insgesamt 20 Jahre lang hatte er sich immer wieder mit dem Enigma am Goldenen Dachl beschäftigt.

Moriskentänzer

Moriskentänzer verraten den Textbeginn.

Und nun dieser Hinweis. Der Moriskentänzer zeigte auf Zeichen, die wie ein Omega, ein Gamma und ein schlankes E ausschauen. Also OGE. Er war sich sicher, das war der Textbeginn. Dann folgten noch Zeichen, die an X erinnern. Eine Zeichenfolge LXU war möglich. Zwei Worte, die mit Bestimmtheit nicht im Latein-Wörterbuch stehen dachte er. Aber wenn daraus EGO LUX gemacht wird, kommt man der Lösung schon sehr nahe. Es war der Durchbruch. Des Rätsels Lösung war jetzt quasi ein Lercherl.

Decodierung Spruchband Goldenes Dachl

Das ‚Lösungsbuch‘ des Erhard Maroschek.

Selbst wenn wir Laien nun EGO LUX auf Google eingeben erhalten wir quasi die Lösung frei Haus.  Denn es poppt ein Text auf, der in einem Gregorianischen Choral verewigt ist und aus dem Johannes Evangelium, Kapitel 8 Vers 12 stammt:

“EGO SUM LUX MUNDI QUI SEQUITUR ME NON AMBULABIT IN TENEBRIS SED HABEBIT  LUCEM VITAE DICIT DOMINUS” 

Auf Deutsch: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern er wird das Licht des Lebens haben, spricht der Herr.

Bleibt die Frage: weshalb ließ Maximilian ein Bibelzitat in Geheimschrift anbringen?

Wehalb nun diese Geheimniskrämerei um den Bibelspruch fragt man sich als Laie. Kaiser Maximilian war sich offenbar nicht ganz sicher, ob er den Spruch auf einem profanen Bauwerk überhaupt verwenden dürfe. Zu seiner Zeit durften solche Zitate nur an kirchlichen Gebäuden, Bildern oder Fresken angebracht werden. Für das normale Volk wäre das Band sowieso nicht zu lesen gewesen, denn das waren meist Analphabeten. Aber die Kirchenfürsten beherrschten das Lesen und verstanden Latein. Also war der Kaiser vorsichtig.

Und überhaupt: weshalb hat das Goldene Dachl goldene Dachziegel?

Ich bin zutiefst überzeugt, dass die Lösung, die Erhard Maroschek präsentiert richtig ist. Denn damit verbunden ist eine weitere Erkenntnis. Nämlich, weshalb am Goldenen Dachl goldene Dachziegel angebracht sind. Denn was wir aus buddhistischen Ländern und aus Ländern mit orthodoxer christlicher Glaubensrichtung kennen ist bei uns überhaupt nicht gang und gäbe: goldene Dächer. Weshalb hat also ausgerechnet das Dachl goldene Dachziegel?

Goldenes Dachl

Mit dem Gold der Dachziegel wollte für Maximilian wohl das göttliche Licht symbolisieren.

Für den sehr gläubigen Kaiser Maximilian wäre es vermutlich untragbar gewesen, ein derartiges Gebäude ohne Bezug zu Gott zu bauen. Er, für den täglich eine Messe gelesen werden musste – wenn er sich auf Reisen befand auf einem tragbaren Altar – und der vor nichts Angst hatte als vor ewiger Verderbnis. Da verfiel er auf eine spektakuläre Art, ‚seinen‘ Gott von den lauteren Absichten zu überzeugen. Ganz im Stil eines ‚Zöllners‘ der Bibel, der seinen Glauben auch nicht an die große Glocke hängt.

Ja, eine Eigenheit des Goldenen Dachls habe ich noch erkundet: es ist so ausgerichtet, dass die Sonne täglich um punkt 12 Uhr das Dachl optimal bescheint.  An einen Zufall will ich nicht glauben.  Denn Maximilian hat nichts dem Zufall überlassen.

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