Maximilian in der Martinswand: ein mittelalterlicher PR-Coup?

Wir alle kennen die Legende von der wundersame Rettung ‚unseres‘ Kaisers Maximilian aus der Martinswand bei Zirl. Engel hätten die Hand im Spiel gehabt hieß es. In Wahrheit dürfte es sich indes um einen sensationellen PR-Coup des Habsburgers gehandelt haben.

Wer heute bei gutem Wetter auf dem ‚Maximilian-Steig von Zirl aus zur Grotte wandert wird nicht nur mit einem grandiosen Ausblick belohnt. Die Wandersleute passieren mit größter Wahrscheinlichkeit auch jene Stelle,  an der Kaiser Maximilian in Bergnot zwei Tage verharrte. Um dann auf wundersame Weise gerettet zu werden.

Maximilian-Steig in Zirl

Der Maximiliansteig in Zirl führt in die Maximiliangrotte

Schaujagden vor Publikum

Der Kaiser war ein fanatischer Waidmann. Er badete sich regelrecht in seiner Rolle als heldenhafter Jäger, der die Gämsen aus steilen Felwänden stach und Steinböcke, Hirsche und allerhand anderes Wild in Massen erlegte. Seine Kühnheit zeigte er am liebsten bei sogenannten Schaujagden. Das Schlösschen seines Onkels Sigismund „der Münzreiche“ am Martinsbühel bei Zirl musste oft dafür herhalten. Wer jemals am Martinsbühel gewesen ist weiß, wie bedrohlich die unmittelbar dahinter aufragende Martinswand anzusehen ist. Für Maximilian also die Idealkulisse.

martinsbühel zirl

Der ‚Martinsbühel‘ bei Zirl mit der Martinswand war quasi der ‚Zuschauerraum‘ der Schaujagd.

Zur Schaujagd lud der Kaiser gewöhnlich zahlreiche Adelige, Gesandte, Pfaffen und andere höfische Faulenzer ein. Er wollte ihnen, den Angehörigen der arbeitsscheuen und ausbeuterischen Adels- und Kirchen-Elite des Landes, kalte Schauer über die Rücken jagen und zeigen, welch toller Hecht er war.

Gämsen wurden aus der Wand ‚gestochen‘

Dutzende Treiber samt Hunden waren jeweils bei solchen Jagden dazu ausersehen, dem Kaiser die Gämsen regelrecht in die Arme zu treiben. Es war also für Maximilian kein wirkliches Problem, die Gämsen aus der Wand zu „stechen“. Ja, die wurden gestochen und nicht geschossen. Mit langen Speeren erwartete er die Tiere, die er dann damit erlegte. Warm wurden die Gämsen erstochen werdet ihr euch fragen? Weil Maximilian verboten hatte, auf die edlen Gämsen mit Pfeilen, Armbrüsten oder gar mit Musketen zu schießen. Das erschien im gänzlich unwaidmännisch und diesen edlen Tieren gegenüber höchst unfair.

Gämsenstechen, Jagdbuch Maximilian

Gämsenstechen, dargestellt im Tiroler Jagdbuch Kaiser Maximilians. Man beachte die Steigeisen, die die mutigen Jäger trugen, um am Fels nicht abzurutschen.

 

Gämsenjagd, Jagdbuch Maximilians

Eine Treibjagd zu Zeiten Maximilians organisiert: Hunde und Treiber trieben die Tiere in die ‚Fänge‘ hochherschaftlich-adeliger Jäger. Darstellung aus dem Tiroler Jagdbuch Maximilians.

Es musste also eine Schaujagd gewesen sein, bei dem Maximilian einst in Bergnot geraten war. Wie üblich war der Kaiser – ein Mann der die Show liebte – wieder vor Publikum in die Martinswand eingestiegen. Dieses eine Mal hat er sich aber ‚verstiegen’. Weder vor noch zurück sei er gekommen, schilderten später die Chronisten. Seine Lage sei immer verzweifelter geworden. Und da er selbst nach zwei Tagen in der Wand mit dem Schlimmsten rechnete, befahl er, einen Priester zu rufen. Dieser sollte ihm die Heilige Kommunion von ferne zeigen. Denn das ‚galt‘ damals soviel wie eine tatsächliche Kommunion für jene, die ‚hoffnungslos verloren‘ waren. Und wer die Kommunion gesehen hatte durfte im Jenseits mit Gnade rechnen.

Maximilian in der Martinswand

Maximilian in der Martinswand. Gemälde von Ferdinand Graf zu Harrach. Foto: Kunstsammlungen Weimar

blick martinswand nach zirl

Der Maler des betenden Maximilian dürfte höchstselbst in die Wand eingestiegen sein. Im Tal: Zirl.

Die wundersame Errettung des Kaisers

Der Himmel hatte jedoch sein Flehen bereits erhört. Denn urplötzlich erscheint ein Jüngling in Bauernkleidern um ihm den sicheren Weg aus der Wand zu zeigen. „Sei getrost, gnädiger Herr“ habe der Bursche gesprochen. „Gott lebt noch der euch erretten will. Folgt mir nur und fürchtet euch nicht!“ Er führt den Kaiser ins Tal, sprich auf den Martinsbühel bei Zirl und verschwindet offenbar genauso schnell wie er erschienen war. So die Erzählung.

Rettung Maximilians aus der Martinswand

Die Rettung Maximilians aus der Martinswand durch einen Bauernbuben. Hier im Licht eines Engels gemalt

Maximilian: Ein gottgesandter Held

Aber es wäre ja nicht Maximilian gewesen, eine kritische Situation vor Publikum nicht sofort zu seinen Nutzen umzudeuten, ihr einen ‚transzendentalen Spin‘ zu geben. Einem künftigen Herrscher kann nichts besseres passieren, als vom Himmel gerettet zu werden. Ein Gottesurteil quasi. Maximilian, ein Liebling der Götter! Wobei gesagt werden muss, dass Maximilian selbst nie von einem Engel sprach der ihn gerettet hatte.

Stich Martinswand in Schloss Ambras

Stich der Martinswand wird in Schloss Ambras gezeigt. Bereits mit den Kreuzen, die Maximilian anbringen ließ. Hier sieht man auch, dass seine Lage kaum so aussichtslos gewesen sein kann wie in der Legende geschildert.

Kein Wunder, dass er den Vorfall volé übernahm und ihn in sein Versepos ‚Theurdank‘ einbaute. Maximilian war der erste Regent, der den eben erfundenen Buchdruck zur Verbreitung seiner eigenen Legenden benutzte. Sein Hofmaler Jörg Kölderer sorgte für die Illustration des Werkes, seine Schreiber formulierten die Texte. Er ließ sogar eine eigene Schrift entwickeln, die heute noch existiert und das Logo der ‚New York Times’ ziert. Das Werk war übrigens nur eine von insgesamt vier Biografien Maximilians, die alle ein Loblied auf ihn sangen. Denn Maximilian hatte nur eine Angst, nämlich mit dem Glockenton des Sterbeglöckleins vergessen zu sein.

Theurdank - Schrift

Der Schriftzug der New York Times ist in Theuerdank gehalten. Die Schrift wurde auf Veranlassung von Maximilian entwickelt.

Goethe: „Wäre wohl ohne Engel hin und her gekommen“

Noch heute erinnert ein großes Kreuz in der Grotte an den Vorfall. Es wurde auf Veranlassung Maximilians bereits zwischen 1503 und 1504 in der Wand angebracht. Offenbar kannte auch Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe die Legende von der himmlischen Rettung Maximilians. Weshalb er im Angesicht der Martinswand, die er bei seiner Italienischen Reise passierte, notierte: „Zu dem Platze, wohin Kaiser Maximilian sich verstiegen haben soll, getraute ich mir wohl ohne Engel hin und her zu kommen, ob es gleich immer ein frevelhaftes Unternehmen wäre.“

Maximiliangrotte in der Martinswand

Die Maximiliangrotte in der Martinswand

MEINE TIPPS: 

  • Der Weg zur Maximiliangrotte ist durchgehend gesichert, kindersicher und beginnt beim Parkplatz des Roten Kreuzes in Zirl.
  • Die Dauer des Aufstiegs zur Grotte: etwa 1 1/4 Stunden. Gutes Schuhwerk mit Profilsohle ist erforderlich.
  • Eine genaue Beschreibung der Wegstrecke findet ihr hier.
  • Für Kletterbegeisterte: Die Martinswand ist ein Eldorado der Kletterer.
Martinswand und Innsbruck

Senkrecht geht’s da aufwärts…