St. Nikolaus: ein Kirchlein feiert das Leben

Es gibt Plätze in Tirol, an denen man sich wohltuend entrückt, bisweilen sogar erhaben fühlt. Einer dieser Orte liegt am Eingang des Osttiroler Virgentales.

Mir hat es ein wundersames Kirchlein in Osttirol angetan: St. Nikolaus bei Matrei. Seit ich es vor zwei Jahren das erste Mal betreten habe stehe ich im Bann dieses wahrlich heiligen Platzes.  Nun glaube ich, den Grund dafür zu kennen: In dieser uralten Kirche wird mit absolut außergewöhnlichen, farblich opulenten romanischen Fresken nicht der Tod sondern das Leben gefeiert. Christus ist nicht der Tote am Kreuz sondern der Auferstandene im ‚Himmlischen Jerusalem‘. Selbst die Architektur weist den Weg in Richtung Paradies. Zwei einzigartige steinerne Treppenaufgänge in der Kirche sind eine Hoffnung ausstrahlende Allegorie. Nämlich die des Aufstieges aus Schuld  und Sünde ins himmlische Paradies.

St. Nikolaus, Matrei i.O.

Das Nikolauskirchlein auf einem Bild von wikipedia.

Mein Kreuz mit den Kreuzwegen

In Tirol ist es meist wie mit dem Amen im Gebet: Kurz vor Wallfahrtskirchen beginnt in den allermeisten Fällen ein Kreuzweg. Und der endet nicht selten mit einer überaus drastischen Darstellung des Todes Christi am Kreuz. Weshalb das so ist und für was das gut sein soll habe ich noch nicht in Erfahrung gebracht. Vielleicht hat es etwas mit jener Selbstkasteiung zu tun, die dem Volk von den Päpsten, Bischöfen und Pfaffen jahrhundertelang aufgetragen und eingetrichtert worden war. Oder war es die Drohung mit der ewigen Verdammnis, die Gläubige beten statt handeln ließ? Und beteten sie entlang eines Kreuzweges vielleicht intensiver? Keine Ahnung. Ich habe jedenfalls eine Ausnahme von dieser Regel entdeckt, wonach Wallfahrtskirchen meist mit Kreuzwegen verbunden sind. Der Aufstieg zur Kirche St. Nikolaus ist zwar mit Anstrengung und einigem Schnaufen verbunden, wird aber während des Anstieges durch KEINEN Kreuzweg gestört.

St. Nikolaus, Matrei i.O.

Anstelle von Kreuzwegstationen säumt dieses wunderschöne, alte Bauernhaus den Weg zum heiligen Platz.

Viele kennen die Kirche, nur wenige besichtigen sie

Wer über den Felbertauern nach Matrei in Osttirol fährt, wird bei genauem Hinsehen auf der Schattseite des beginnenden Virgentales ein Kirchlein mit seinem typischen, massig-romanischen Turm erkennen. Wohingegen von Lienz kommend St. Nikolaus von links in den Sichtkreis des aufmerksamen Fahrers/der konzentrierten Fahrerin tritt. Allzuoft habe ich mir vorgenommen, irgendwann einmal hinaufzufahren, um mir die Kirche näher anzusehen.

St. Nikolaus, Matrei i.O.

Der Blick auf Matrei i.O. von der Nikolauskirche aus.

Mesner- und Klabinerhof, Matrei

Das Ensemble des Messner- und Klabinerhofes (rechts), ein wunderbares Beispiel alter Osttiroler Holzbaukunst bildet einen würdigen Rahmen zum außergewöhnlichen St. Nikolaus-Kirchlein von Ganz, dem Ortsteil von Matrei. Bild: Michael Kranewitter, Wikimedia Commons

Vor zwei Jahren hatte ich dann genug von meiner eigenen Ignoranz und wanderte zum Kirchlein. Seither stehe ich in dessen Bann. Nicht zuletzt deshalb, weil es Teil eines einzigartigen Ensembles ist. Zwei alte Bauernhöfe ergänzen diesen wunderschönen Flecken mit dem fantastischen Blick auf Matrei.  Diese Hofgruppe unterhalb der Nikolaus-Kirche besteht aus dem Bauernhof Klabiner und dem Bauernhof Messner. Der Bauernhof Klabiner ist ein typischer Osttiroler Paarhof mit einem Brunnenhäuschen. Das neben dem Klabinerhof liegende Bauernhaus Messner ist übrigens das Geburtshaus des Bildhauers Virgil Rainer

Hinter der Pforte beginnt eine andere Welt

Aber ganz ohne Golgotha-Erinnerung geht’s auch hier nicht. Über der Eingangspforte von St. Nikolaus ist die Kreuzigungsszene zeichnerisch dargestellt. Und das nur in Konturen und somit wenig drastisch. Wenn ich dann aber meinen Fuß über die Pforte dieser Kirche setze, bin ich in einer anderen Welt.

Dieser Blick auf zwei Chöre ist es, der Besucher von St. Nikolaus sofort in den Bann dieser außergewöhnlichen Kirche zieht.

Es ist sicher der sogenannte ‚Chorturm‘, der Wallfahrer, Pilger und Kunstinteressierte gleichermaßen in Verzückung versetzt. Schon beim Eingang nimmt dieser prächtige Kultraum Besitz von seinen Besuchern. Zwei Altäre, zwei Gewölbe in einen Turm eingebettet. Ein wahrlich einzigartiges Interieur für eine Kirche. 

Chorturm deshalb, weil der Chor zweigeteilt ist: in einen Unter- und einen Oberchor. Der wiederum ist über zwei steinerne Aufgänge zu erreichen. Im Unterchor befindet sich die St. Nikolauskapelle, dessen gemauerten Altar eine Statue des Heiligen aus der 1. Hälfte des 15. Jahrhunderts schmückt. (Heute befindet sich eine Nachbildung an dieser Stelle.)

Eine Nachbildung der Skulptur des Heiligen Nikolaus ziert den Altar des Unterchors.

Unten Nikolaus, oben Georg

Ausgestattet ist die Nikolauskapelle, also der untere Chor, mit Fresken aus der Zeit Ende des 13. Jahrhunderts. Fresken, die den Heiligen Nikolaus zeigen, sind allerdings nur mehr in Fragmenten vorhanden. Dafür sind vier Paradiesszenen im Gewölbe noch sehr gut erhalten: Erschaffung von Eva, Sündenfall, Vertreibung aus dem Paradies und Buße. Die Botschaft dieser Kirche ist sehr simpel: Der Weg ins Paradies ist für uns Menschen trotz aller Verfehlungen möglich. Denn über zwei steinerne Aufgänge gelangt man anschließend in den Oberchor. Und damit in einen der wohl faszinierendsten Kirchenräume Tirols, wenn nicht Österreichs. Man lässt das sündige Leben quasi hinter sich und betritt im wahrsten Sinn des Wortes ein himmlisches Paradies. Es nennt sich hier ‚Georgskapelle‘.

Der Sündenfall ist ein gut erhaltenes Fresko des Unterchors. Vier Paradiesszenen schmücken dessen Wände Die Erschaffung der Eva, der Sündenfall, Die Vertreibung aus dem Paradies und die Buße der Stammeltern.

St. Nikolaus

Der zweistöckige Chor mit seinen steinernen Stiegen ist ein Synonym für den Aufstieg ins Paradies. Im Vordergrund: eine Steinguss-Statue des Hl. Alban, der auch Patron der Matreier Pfarrkirche ist.

Ein Meisterwerk der romanischen Fresko-Kunst

Der Chorraum ist nahezu völlig mit Fresken bemalt, wie sie in dieser Qualität nur äußerst selten zu sehen sind. Einzigartig ist es, dass sich die Besucher_innen des Kirchleins frei bewegen dürfen um die Wandgemälde aus allernächster Nähe zu betrachten. Mich beeindruckt das jedesmal tief, ist es doch möglich, auch die kleinsten Details, Ritzungen und Vorzeichnungen der fantastischen, damals auf frischen Mörtel aufgebrachten Gemälde betrachten zu können. Ebenfalls sichtbar und gar nicht uninteressant sind die zahlreichen Kritzeleien von Gläubigen mit Rötelstift. Auch im Mittelalter verschmierten Narrenhände Tische und Wände…

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Es wird vermutet, dass sie von einem großen Meister der damaligen Kirchenmalerei geschaffen worden sind, weist doch der Stil verblüffende Ähnlichkeiten mit Stift Admont und der romanischen Kapelle im Dom zu Gurk auf. Geschaffen wurden sie vermutlich zwischen 1265 und 1270. Dass sie noch erhalten sind ist einem bemerkenswerten Zufall zu verdanken. Ein Brand äscherte 1778 den nahegelegenen Bauernhof ein und griff auf die Kirche über, deren Innenraum stark verrußt worden war. Dass dieser Ruß dann in der Folge mit Kalkfarbe übertüncht wurde sorgte quasi für die Konservierung der Fresken. Obwohl die Kalkfarbe und mithin die Fresken  anschließend im Stil der Nazarener übermalt worden waren gelang es dennoch, sie 1939 wieder frei zu legen.

Fresken Nikolaus Matrei

Ein großartiger Künstler erschuf um 1270 die einzigartigen Fresken im Oberchor. Im Zentrum: das Himmlische Jerusalem mit dem auferstandenen Christus. Auf dem gemauerten Altar thront eine frühgotische Holzplastik, eine Mutter Gottes mit Jesuskind. Die Originalplastik wurde um 1330 geschaffen, wurde aber durch eine Nachbildung von Manuel Egger aus dem Jahre 2015 ersetzt.

Die Heiligen und Apostel sind im byzantinischen Stil dargestellt

Um noch einmal auf die Ikonografie der Fresken zurück zu kommen. Jener Meister, der den Oberchor bemalt hat, tat dies im Stil der Malschulen von Padua. Die aber waren damals sehr von der byzantinischen Malerei beeinflusst. Und so stehe ich jedesmal wieder vor den fantastischen Porträts von Aposteln und Heiligen, wie sie in der orthodoxen Kirche üblich sind. Die Bilder und vor allem das in der Kuppel des Oberchores dargestellte ‚himmlische Jerusalem‘ versetzen mich bei jedem Besuch in eine erhabene Stimmung, wie ich sie nur äußerst selten in Kirchen erleben kann. Farben, Formen und Symbole machen diese Art der Kirchenmalerei zu einem einmaligen Erlebnis. Nicht nur für kunstinteressierte Menschen.

Und so werde ich auch in Zukunft bei jeder sich bietenden Gelegenheit dieses Kirchlein aufsuchen. Im Wissen, dort Ruhe und Gelassenheit zu finden.

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Sollte das Kirchlein verschlossen sein ist der Schlüssel beim nahe gelegenen Bauernhof zu erhalten.

St. Nikolaus in Matrei

Das St. Nikolaus-Kirchlein mit seinem mächtigen Turm und dem St. Christophorus-Fresko an der Nordseite des Turms.

Meine Tipps:

  • Das Kirchlein ist nicht zu verfehlen, liegt aber etwas außerhalb von Matrei i.O., nämlich im Weiler Ganz.
  • Ich empfehle allen Besucher_innen dringend, zum Kirchlein zu Fuß aufzusteigen.
  • Empfehlenswert ist es auch, den kleinen, gedruckten Führer durch die Fresken der Kirche zu kaufen, der im Kircheninneren gegen ein Entgelt erhältlich ist.
  • Lassen Sie dieses einzigartige Kirchlein auf sich einwirken. Allein diese Erfahrung macht St. Nikolaus schon einzigartig.