Die Leser_innen meines Blogs wissen es längst: Ich schwärme für alte Häuser im Engadiner Stil. Wuchtige Mauern, kleine, tief gesetzte Fenster und wunderbare Erker prägen deren Aussehen. Deshalb gehört Ladis im Oberen Inntal auch zu meinen Lieblingsorten. Dort verspüre ich bei jedem Besuch den Flair jener Zeit, als hier noch rätoromanisch gesprochen worden war.
Immer wenn ich den Ort besuche wird mir irgendwie ‚warm um’s Herz‘. Das hat weniger mit meiner romantischen Ader zu tun. Schon eher damit, dass im Ortszentrum Gebäude aus einer Epoche erhalten geblieben sind, in der es einen einheitlichen Baustil gegeben hatte. Es war eine Zeit, in der sich weder Architekten noch Bauherren irgendwelche ‚Denkmale‘ setzen wollten. Maurer und Zimmerleute konstruierten die Häuser, die eine wunderbare Einheit mit der Landschaft gebildet hatten. Wuchtig, irgendwie breitbeinig. So mussten sich auch deren Besitzer – die Bauern – gefühlt haben.
Natürlich trägt die auf einem schmalen Felsgrat aufragende Burg Laudeck viel dazu bei, Ladis zu einem der schönsten Tiroler Dörfer zu machen. Vor dem Hintergrund der Kaunertaler Berge sorgt sie für eine dramatische Note. Ja, und dann ist da noch ein Schlossteich, der mit Sicherheit zu den schönsten seiner Art in Tirol zählt. Er liegt zwischen dem Dorf und der Burg.
In Ladis ist also noch ein letzter Blick in diese Vergangenheit möglich. Ganz offenbar wollten die Bürger ihre stolzen Häuser in die Gegenwart herüber retten. Denn immerhin steht Ladis, auf einem Sonnenplateau in rund 1200 m Seehöhe gelegen, auch an der Wiege des Tourismus dieser Region. Waren es doch Schwefel- und Sauerquelle, die bereits im Mittelalter ‚Touristen‘ anzogen.
Eine Römerstraße als Hauseingang?
Wie gesagt: mich interessieren die im Engadiner Stil erbauten Häuser dieses Ortes. Einen Rundgang beginne ich meist am Schlossteich, um anschließend zu den beiden Häusern ‚auf der Platte‘ zu spazieren. Sie weisen ein wichtiges Merkmal dieser Architektur auf: der Zugang ist nur durch einen Durchfahrtsflur möglich. Und eben diese Durchfahrt hat vermutlich eine uralte Geschichte. Denn es soll sich um eine Nebenstraße der römischen Via Claudia Augusta handeln. Wer also das Haus mit der Hausnummer 3 betritt wandelt mit einiger Wahrscheinlichkeit auf uralten Pfaden.
Dann sollten sich Menschen, die Schönes lieben und einigermaßen kulturaffin sind, auf einen Dorfrundgang begeben. Es ist offensichtlich, dass viele Bürger dieses Örtchens ein intaktes Verhältnis zur Vergangenheit haben. Anders ist es kaum zu erklären, dass zahlreiche Gebäude im Dorfzentrum wunderbar erhalten sind. Denkmalschutz und Geschichtsbewusstsein sorgen dafür, dass die Besucher einen Eindruck vom alten, vom ‚originalen‘ Ladis erhalten. Aber nun zu den Bauten.
Das Rechelerhaus
Dieses über und über bemalte Haus ist das Älteste seiner Art im Oberen Gericht. Spätromanischen Ursprungs, zählt es heute zu den bedeutendsten Profanbauten und zu den schönsten seiner Art in Tirol.
Ursprünglich bestand es aus zwei selbständigen Bauten. Diese wurden vermutlich beim Einfall der Appenzeller Bauern 1406 niedergebrannt. Dendrochronologische Untersuchungen – das sind Analysen der rhythmischen Zuwächse von Jahresringen der Bäume – haben ergeben, dass beide Häuser 1410 wieder aufgebaut und um 1475 miteinander verbunden worden sind.
Auf der Westseite erscheint es, als ob da ein mittelalterliches ‚Plumpsklo‘ aus der Wand hängt. Das ist natürlich nicht der Fall. Im Gegenteil: in Ladis wachsen Brotbacköfen generell aus der Mauer heraus. Einerseits wurde die Brandgefahr nach außen verlagert, andererseits wurden diese Öfen von der Rauchkuchl aus quasi ‚nebenher‘ bedient.
Einige Schritte vom Rechelerhaus entfernt steht das Stockerhaus mit seinen üppigen Freskenmalereien an der Eingangsfront. Der wahrlich originelle Erker hat sogar Eingang in die Architekturgeschichte des Tiroler Oberandes gefunden. In mir kommt immer wieder der Verdacht hoch, das Haus nehme seine Betrachter_innen eigentlich auf die Schaufel indem es mit ihnen ‚spricht‘.
An dieser Hauswand, vermutlich um 1626 in Seco-Technik gemalt, wird ein Querschnitt durch das Alte und Neue Testament geboten. Nicht nur das. Vor allem die arabeskenhaften Details sind sehenswert. Wie etwa die Darstellung eines Überfalls, bei dem ein Wegelagerer einen Reiter vom Roß zerrt. Rechts vom Pferd steht ein Mann, der sich darob köstlich amüsiert. Vielleicht ist es die Darstellung des Sprichwortes: ‚Wer den Schaden hat muss sich um den Spott nicht kümmern?‘ Oder aber: Hochmut kommt vor dem Fall.
Wie bereits erwähnt ist der Erker des Stockerhauses die architektonische Attraktion des Gebäudes. Da er eher flach gehalten ist, wird er von Baudetails in seiner plastischen Wirkung unterstützt. Über der Eingangstüre sind die Bauherren genannt: ‚Das Haus hat erpaut Urban Bale und sein Hauß fraw Kattarina Jemchin.‘ Der Ortschronist von Ladis, Robert Klien, nimmt an, dass Kattarina aus dem Engadin stammte.
Über dem Türeinlass ist ein kleines Fensterchen angebracht. Das könnte nicht nur dem Lichteinlass gedient haben, meint Klien. Ganz in der Tradition Engadiner Häuser könnte es auch als ‚Seelenloch‘ gedient haben. Durch das traten Seelen von im Haus verstorbenen ihre Reise gen Himmel an.
Zwei weitere Häuser haben es mir in Ladis angetan. Sie liegen etwas oberhalb der Hauptstraße. Eines ist heute Sitz des Bürgermeisters und der Gemeindeverwaltung, das andere das ehemalige Gasthaus Rose. Das Gemeindeamt ist der vielleicht schönste Beweis dafür, dass sich viele Bürger_innen von Ladis dem archtektonischen Erbe ihres Ortes verpflichtet fühlen. Die beiden Häuser wurden nämlich von der Gemeinde aufgekauft, abgetragen und wieder völlig neu aufgebaut. Die Kubatur blieb selbstverständlich erhalten. Ebenso die Fresken, die abgelöst worden waren um am Neubau wieder angebracht zu werden. Respekt.
Spaziergang zur Heilquelle nach Obladis
Den krönenden Abschluß eines Besuches in Ladis ist auch immer ein Spaziergang nach Obladis, wo man sich am Tiroler Sauerbrunn laben kann. Einem Heil- und Mineralwasser der Grafen, Fürsten und Könige des Mittelalters. Mit einer fantastischen Aussicht auf die Kaunertaler Berge. Ich habe diese einzigartige Kombination aus Schönheit und Gesundbrunnen in diesem Blog bereits beschrieben.
Meine Tipps:
- Das wunderbare, von Robert Klien gestaltete Dorfbuch von Ladis,erschienen im Athesia-Tyrolia-Verlag in Innsbruck ist erhältlich am Gemeindeamt Ladis.
- Der Spaziergang nach Obladis ist HIER beschrieben.
Danke für diesen Hinweis, dass im Oberintal einmal Räterromanisch gesprochen wurde.
Viele Dialektausdrücke Flur und Ortsnamen deuten ja noch drauf hin.
Als Geschichtelehrerin weiß ich, dass dieses Wissen in Vergessenheit gerät
Auch der Beitrag über den „Geschriebenen Stein “ im Vikartal ( in Ellbögen immer noch unter dem Namen Falcesanatal) bekannt) war für mich als Iglerin sehr interessant.
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Ja, im Oberen Gericht wurde lange rätoromanisch gesprochen. Erst nach der Reformation wurde in den katholischen Grenzgebieten zur Schweiz rätoromanisch sogar verboten. Denn da wurden Pfarrer eingesetzt, die nicht aus der Gegend stammten und die Sprache nicht verstanden. Und das ging dann gar nicht. Das Das Viggartal Falesanatal hieß war mir nicht bekannt. Woher kommt der Name, wissen sie das zufällig? Danke im voraus.
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