Cranachs Millionengemälde im Rucksack gerettet

Schon einmal von Gries im Sulztal gehört? Selbst in Tirol ist dieser kleine Ort in einem Nebental des Ötztales kaum bekannt. Vor 75 Jahren wurde hier unter strengster Geheimhaltung eines der großen Meisterwerke der deutschen Gotik versteckt: Lucas Cranachs Gnadenbild ‚Maria hilf‘.

Die Geschichte wäre wohl nie wirklich öffentlich geworden, gäbe es nicht die bemerkenswerte Website www.sagen.at. Die von Wolfgang Morscher in mühseliger, akribischer Kleinarbeit gestaltete Plattform berichtet von einer streng geheimen und kriegsbedingten Evakuierungsaktion im Dezember 1944. Als Innsbruck mehr und mehr zum Ziel alliierter Bombenangriffe geworden war, musste das Gnadenbild ‚Mariahlf‘ von Lucas Cranach rasch an einen sicheren Ort gebracht werden.

Lucas Cranach d.Ä. Mariahilf

Lucas Cranach d.Ä.: ‚Mariahilf‘. Das im Alpenraum, vor allem aber Süddeutschland und Tirol am häufigsten kopierte Marienbild. Allein in Innsbrucks Altstadt sind dutzende Kopien als Hausfresken zu finden.

Am 15. Dezember 1943 startete die US-Air Force ihren ersten Angrifft auf Innsbruck. Es sollten insgesamt 22 werden, bei denen 126 Tonnen Bomben abgeworfen wurden. Teile Wiltens und auch die Maria-Theresia-Straße wurden in Trümmerhaufen verwandelt. Genau ein Jahr später wurden zudem noch Brandbomben abgeworfen. Das war ein Fanal für die Verantwortlichen, das überaus wertvolle Cranach-Bild zu retten und an einen sicheren Ort zu bringen.

Dr. Heinz Huber hieß der damalige Domprobst zu St. Jakob. Obwohl das Bild in einem bombensicheren Panzerschrank gelagert wurde – am Hochaltar hing lediglich eine gut gemachte Kopie – wollte er sicher gehen. Der Panzerschrank war zwar bomben- aber nicht brandsicher. Er startete eine Rettungsaktion, die in einem lange gesperrten Protokoll im Innsbrucker Stadtarchiv beschrieben wird. Ich hatte das Glück, dieses Protokoll lesen zu dürfen.

Protokoll über die Rettung des Mariahilf-Bildes

Das Protokoll über die Rettung des Mariahilf-Bildes liegt im Innsbrucker Stadtarchiv

Der Dompropst höchstselbst evakuierte das Bild

Nachdem der damalige Bischof Paulus Rusch seine Zustimmung gegeben hatte wurde die Evakuierung akribisch geplant. Probst Huber machte sich unverzüglich an die Arbeit und bastelte ein Tragegestell, das er in einen Rucksack einfügte. Mit Skigurten verlängerte er die Trageriemen, die nun kreuzweise über der Brust verschlossen werden konnten. Aber wohin sollte das Bild in Sicherheit gebracht werden? Probst Huber beschloss, das Bild selbst an einen sicheren Ort bringen. Dazu bestieg er erst einmal den Zug nach Ötztal Bahnhof. Denn in Ötz kannte er den Bruder des Abtes von Mehrerau. Es war Hans Haid, den Besitzer des wunderbaren Hotels ‘Drei Mohren’. Dieser kannte sicher ein geeignetes Versteck für dieses wertvolle Gemälde.

Hotel Drei Mohren, Ötz

Das heute noch grandiose Hotel Mohren in Ötz

Gries im Sulztal wurde als Versteck auserkoren

Aber zuerst einmal veranstaltete man im Hotel eine ‚unvergessliche Andacht‘, wie sich Huber später erinnerte. Und da es nur noch wenige Tage bis Weihnachten 1944 waren beratschlagte man, wohin das Bild ‚am gescheitesten‘ zu bringen wäre. Die Haids vom Mohren hatten einen Tipp. Darüber berichtete Huber berichtet in einem Protokoll, das nach dem Krieg aufgenommen worden war: „Die haben gemeint, wir könnten das Bild doch einfach zum Guggenbichler bringen“ erzählte er. Dieser war Kaplan von Gries im Sulztal. Der sei ein guter Bastler hieß es und damit irgendwie prädestiniert dafür, das Bild auch verstecken zu können. Zudem würden nicht grad in Gries Bomben fallen. Übrigens betrieb Guggenbichler – er war auch ein offizieller Bergführer – eine Herberge und ein Gasthaus für Touristen in der Abgeschiedenheit, war also über alles und jedes bestens informiert.

Kirche Gries im Sulztal

In dieser Kirche überdauerte Cranachs Mariahilfbild die Gräuel des Zweiten Weltkrieges.

Tags darauf bestieg Huber den Bus von Ötz nach Längenfeld. Dass auch dieses Tal nicht von Bomben verschont würde war ihm klar, als er zwischen Au und Ebene jene Bombentrichter sah, bei denen am Vortag ein Bauer beim Pflügen das Leben verlor. Und als er von Längenfeld zu Fuß nach Gries wanderte konnte er amerikanische Bomber beobachten, wie diese das Ötztal überquerten.

Albuin Guggenbichler: Bergführer, Kaplan und Wirt

Kaplan Albuin Guggenbichler war nicht wenig überrascht, dass Huber unangemeldet und mit einem Rucksack bei ihm auftauchte. Der Mann war ein begeisterter Bergsteiger und ausgebildeter Bergführer. Zudem war er ein begnadeter Handwerker. Er wusste aber sofort, wo das Bild unterzubringen wäre: im Hohlraum hinter dem Ministrantenkasten der Sakristei, der an seiner Rückseite an eine  Holzvertäfelung angebracht war. Guggenbichler sägte die Täfelung auf und stellte das Bild in den Hohlraum. „ Ein paar Kittel drauf und da ahnt kein Mensch wo das ist und dass da was ist“ bemerkte er abgebrüht. Eine einfache wie auch geniale Lösung.

Außenfresko Kirche Gries

Ein Außenfresko an der Grieser Kirche zeigt einen Jakobspilger, der zwei Bauern anweist, hier eine Kirche zu errichten. Weshalb hier überhaupt ein Pilger sein konnte ist der Kern einer meiner nächsten Geschichten.

Der Grieser Kaplan dachte nicht nur an das bevorstehende Kriegsende sondern auch an das Danach. „Wir wissen nicht was bei Kriegsende dann alles passiert“ meinte er und forderte alle zu striktem Stillschweigen auf. Und alle haben dicht gehalten. Bischof Rusch, Probst Weingartner und die Famile Haid vom Mohren in Ötz.

Die triumphale Rückkehr des Bildes nach Innsbruck

Es war an Mariä Empfängnis, als das Bild am 8. Dezember 1945 im Triumphzug nach Innsbruck gebracht wurde. In Längenfeld spielte die Blasmusik auf, in Ötz wurde das Gemälde dann ins Auto des Bischofs gelegt und vorerst in die Spitalskirche gebracht.

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