Stilfs, Version 2.0

Dass mir ein Besuch des Bergdorfes Stilfs (oder Stilz, wie es die Einheimischen selbst bezeichnen) immer höchstes Vergnügen bereitet, habe ich in diesem Blog nie verschwiegen. Ich fühle mich hier wie auf einem Thron in einer natürlichen Loge sitzend. ‚König Ortler’, kühn himmelwärts strebend, krönt als Bühnenbild das Panorama. Dazu gesellt sich seit geraumer Zeit die Tatsache, dass Stilz eine hochinteressante Metamorphose durchmacht. Deren angestrebtes Ergebnis: ‚Stilfs, Version 2.0

Es war diesmal eine eben fertiggestellte, neue Attraktion, die mich erneut bewogen hat, mich an den Fuß des höchsten Berges Südtirols zu verfügen. Die Rettung – sprich – die Sanierung einer uralten Getreidemühle auf 1.600 m Seehöhe war der willkommene Anlass, mich vor Ort über den Fortgang eines einzigartigen Großprojektes, vor allem aber auch über ein geplantes großes Kulturfest zu informieren.

Zur Erinnerung: Stilfs hat im vergangenen Jahr gemeinsam mit 20 anderen Kleingemeinden einen inner-italienischen Wettbewerb gewonnen und ist so in den Genuss von 20 Millionen € gekommen, die in den kommenden zwei Jahren ‚verbraucht’ werden dürfen. Ein Jackpot quasi.  Aber es ist endlich jenes Geld, mit dem dieses auf einem Steilhang erbaute Dorf attraktiver gemacht werden kann. Konkret: Stilz gewann die Ausschreibung zur „kulturellen Aufwertung und Wiederbelebung historischer “borghi”. Mit ‚Borghi‘ bezeichnet man in Italien historische und malerische Orte, viele dieser Borghi gehören zu den „Borghi più belli d’Italia“, zu den schönsten Dörfern Italiens. 

Ein Sprung aus dem Kellerfenster könnte bei einigen Häusern in Stilfs als Selbstmord gedeutet werden.

Das große StilZ-Festival vom 26.-28. Juli

Der Gewinn trägt denn auch gleich einmal zur Wiederbelebung alter kultureller Aktivitäten bei. Denn die Stärkung der ‚Resilienz‘, also der Widerstandskraft, soll mit einem „Stilzfestival“ vom 26. bis zum 28. Juli gefeiert werden. Quasi als kulturelle Einstimmung auf die neuen Zeiten. Das Programm ist eine ‚Maßarbeit‘ und ganz auf Stilfs abgestimmt. Eine hochkarätige Mischung aus Theater, Natur, Musik, vielfältiger und innovativer Kultur. Und bei alldem kommen auch Regionalkost-Gourmets auf ihre Rechnung.

Das StilZfestival findet an dorftypischen Orten statt. Beim heurigen Auftaktfestival steht das Erbe von Stilfs im Mittelpunkt. Es geht um traumatische Erlebnisse wie den Dorfbrand oder die Geschichte der Korrnr (Karrner) und Schwabenkinder. Aber auch um viele schöne Geschichten, die bis heute nachwirken. Wenn es in der Einladung heißt: „Stilfs lädt Künstler_innen und Gäste ein, sich von seiner einmaligen Vertikalität beeindrucken zu lassen“ ist das ein Wink mit dem Zaunpfahl, das Festival des Dorfes im Steilhang zu besuchen. 

Für alle Interessierte: das detaillierte Programm steht zum download ganz unten bereit.

Die Rede ist davon, dass in Stilz im Winter selbst Hühner Steigeisen benötigen.

Der Geldsegen trifft zur Abwechslung einmal die Richtigen

Ich werde auch nicht müde zu erklären, weshalb Stilfs meines Erachtens den Wettbewerb um Investitionen völlig zurecht gewonnen hat. Schon vor Jahren hatten sich vor allem junge Stilzer zusammengetan. „Es musste etwas passieren“ sagen sie heute. Ihr erklärtes Ziel: sie wollten endlich damit beginnen, den Ort wieder zu beleben. Ohne Förderung, ohne großartiges Marketing und ohne Tamtam hatten sie begonnen, in ihrem persönlichen Wirkungsbereich Taten zu setzen. Man begann, gemeinsam mit der Gemeinde, mit der Sanierung der alten Bewässerungsanlagen.

Weiter ging’s dann mit der Wiederbelebung des historischen Getreideanbaus in Stilfs. Ein allerletzter Getreidebauer hatte noch das dazu nötige Wissen und gibt es nun an Interessierte weiter. Der Mann heißt Reinhold Pinggera, ich habe ihn HIER bereits vorgestellt. Einige seiner Freunde haben begonnen, wieder Roggen, Hafer und seit heuer auch Dinkel in Stilz anzubauen.

Reinhold Pinggera hatte, ganz in der Familientradition nie aufgehört, Hafer und Roggen anzubauen. Bild: privat
Unterhalb des Ortes befindet sich ein halbwegs ‚ebenes‘ Gelände. Hier wird wieder Getreide angebaut. Bild: privat

Geo-Dome und Wein

Ein junger Kunsttischler erzeugt jene halbkugelförmige Gewächshäuser, die ‚Geo-Dome‘ genannt werden und die sich als überaus windschlüpfrig und sturmfest erwiesen haben. Er hat auch einen großen Weinberg in Stilfs angelegt und im vergangenen Jahr rund 200 Liter Wein gekeltert. Andreas Pinggera heißt der äußerst begabte Handwerker, der selbstverständlich auch bei der unten geschilderten Sanierung der Vallatschesmühle führend tätig war. Er stellte sein Wissen bei der Erneuerung der hölzernen Teile der Mühle in den Dienst der Allgemeinheit.

Der Geo-Dome entsteht
Ein Geo-Dome entsteht in der Tischlerei Pinggera zu Stilfs.

Ein Pilot als Bäcker und Destillateur

Ein Hubschrauberpilot fand schon vor Jahren in einem ‚Nebenjob’ seine Erfüllung. Er baute eine eigene Backstube, in der er seither außerordentlich schmackhafte ‚Vinschger Paarle’ herstellt. Das ist noch nicht alles. Erst kürzlich hat Nicki Wallnöfer nach monatelanger Entwicklung begonnen, einen exzellenten BIO-Gin, den ‚Stelvio-Gin‘ zu destillieren dem nun auch ein ganz besonderer BIO-Himbeergeist folgt. Die Rohstoffe stammen selbstredend aus der Region.

Nicki am Steuer seines Hubschraubers. Bild: Wallnöfer
Der BIO-Stelvio-Gin. Der vielleicht beste Gin basiert ausschließlich auf regionalen BIO-Produkten.

Dann ist dann noch ein Ziegenbauer mit seiner Familie, die die  Herde nicht verkaufen wollte oder gar die Mistgabel wegzuwerfen. Manuel Haas erhielt mit der Wiederbelebung der Dorfsennerei in Prad die Chance, die Milch seiner Ziegen weiterhin verkaufen zu können.

Die ‚BIO‘-Ziegen von Manuel Haas auf den Faslarhöfen in Stilfs

Sie alle waren es gemeinsam mit weiteren jungen Menschen in Stilfs, die meines Erachtens nach das Pendel beim italienweiten Wettbewerb in Richtung Stilfs ausschlagen ließen. Weil die Preisjury mit Fug und Recht annehmen konnte, dass die 20 Mio. € quasi auf fruchtbaren Boden fielen.

Wobei ein weiterer Mentor die Tatkraft der Gruppe massiv unterstützt hatte. Sein Name: Roland Angerer. Der pensionierte Lehrer ist so etwas ähnliches wie das ‚kulturelle Gewissen‘ des Dorfes. Als langjähriger Gemeinderat und Kenner der Geschichte des Ortes wusste er immer über die Gefahren der Abwanderung, die Stilfs jahrzehntelang sozusagen ‚ausgedünnt‘ hatten. Er kennt die Probleme seit Jahrzehnten, mit denen Stilfs zu kämpfen hat. Wie das Dorf vom Bergbau beherrscht worden war, wie es in einem gewaltigen Dorfbrand ‚unterging‘ und weshalb viele Menschen als Maurer den Ort verließen, um das Geld in der Schweiz zu verdienen und gleich dort blieben. 

Roland Angerer, dessen Initiative zur Rettung der Vallatschesmühle geführt hat.

Die vergangenen 200 Jahre habe Stilfs auf einer Hochschaubahn gelebt. Bergbau, Stilfserjochstraße und der Tourismus hätten Aufschwüng nach sich gezogen, der große Dorfbrand von 1862, die Kriegs- und Nachkriegszeiten waren dann Zeiten des Niedergangs, die beinahe in einer Entsiedelung geendet hätten. Jetzt kann es dank des Geldes zu einem neuen Aufschwung kommen.

Die Vallatschesmühle – eine Rückbesinnung an den Getreideanbau

Für ihn war es sehr schmerzhaft, vor mehr als einem Jahrzehnt zusehen zu müssen, wie eine der letzten uralten Mühlen verfiel. Das wollte er bei der „Vallatschesmühle“ nicht noch einmal erleben. Er setzte vor etwa 10 Jahren alle Hebel in Bewegung, dieses „Erbstückl“ zu erhalten. „Wasser ist Leben, Wasser in einer Mühle ist transformierendes Leben.“

Die Vallatschesmühle erstrahlt im neuen Glanz.

Die Besitzer waren mit einer Rettung und Sanierung gerne einverstanden. Die Sanierungskosten wurden großteils über das LEADER-Programm gedeckt, die Gemeinde hat die Restkosten übernommen.„Und die Raiffeisenkassa hat’s auch gebraucht“, sagt Angerer. Und so konnte er am 15. Juni 2024 gemeinsam mit vielen, auf 1.600 m Seehöhe aufgestiegenen Gästen die feierliche Eröffnung der Vallatschesmühle feiern. Die Gäste wiederum feierten ihn, der zweifellos die treibende kulturelle Kraft in Stilfs darstellt.

Mit dabei im Zentrum der Mühlen- Sanierung: Andreas Pinggera, jener junge und für mich ‚geniale‘ Kunsttischler mit dem Weinbau als Hobby. Er hat die Erneuerung der wichtigen Holzbestandteile einer alten Mühle durchgeführt und auch das neue Mühlrad gefertigt. Stilfs besitzt heute wieder eine funktionstüchtige historische Mühle die auch zur touristischen Sehenswürdigkeit wird. Denn Mühlenbesichtigungen sind bereits fix in das Tourismusprogramm der nächsten zwei Jahre einprogrammiert. Zudem erweitert es ein System von Wanderwegen, die allesamt verschiedene Themen aus der Geschichte von Stilfs abbilden.

Aber das ist eine andere Geschichte, die ich in einem meiner weiteren Blogposts behandeln will.

Das Programm des StilZfestivals zum Herunterladen:

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..