Vollerwerbs-Bergbauer und Käsekünstler: Die zweite Karriere des Martin Grüner

Diese Geschichte hat in Tirol absoluten Seltenheitswert. Ein junger Mann und HTL-Absolvent in einem ziemlich mondänen Wintersportort beschließt, den monetären Verlockungen des Tourismus zu entsagen. Er wird Vollerwerbs-Bergbauer und verzichtet auf ein gutes Einkommen als Skilehrer und Skiführer. Sein Beweggrund: er will die Arbeit von Generationen seiner Vorfahren fortsetzen. Die hatten das Talende des Ötztales  jahrhundertelang urbar gemacht und dabei jene Landschaft geschaffen, ohne die der moderne Tourismus schlicht unmöglich wäre. 

April 2021, die x-te Woche im pandemiebedingten Lockdown. Ein guter Freund hatte mir den Tipp gegeben, quasi zur Entspannung doch einmal bei der ‚Gurgler Hokäserei‘ vorbeizuschauen. Denn da schöpfe im hintersten Ötztal ein junger Mann in einer neu gebauten kleinen Sennerei in purer Handarbeit einen ausgezeichneten Ziegenkäse. Und erst der Ziegenstall. Der sei mit seinen überaus munteren Bewohnerinnen eine wahre Freude. 

Was mein Freund wusste: Ziegen sind meine erklärte Passion. Wie hätte ich da ablehnen können. Und so verfügte ich mich an einem strahlend schönen Frühlingstag, in der Nacht hatte es frisch geschneit, ins knapp 2000 m hoch gelegene Obergurgl um diesen besonderen jungen Mann kennen zu lernen.

Stall der Goas-Gurgler Hofkäserei
Der Stall der Goas-Gurgler Hofkäserei in Obergurgl.

Der Stall neben den Bettenburgen

Gleich am Ortseingang, rechts der Straße, steht der Stall der Familie Grüner. Irgendwie geduckt angesichts der touristischen Bettenburgen. Die haben auch Obergurgl längst zu einem auswechselbaren Touristendorf gemacht. Irgendwie trotzig steht er da, der Stall mit einer neu angebauten Hofkäserei. Ein verhaltenes Gemecker lässt auch Unkundige vermuten, dass sich im Stall eine offenbar fröhliche Geissenherde tummelt.

Es war eine Kehrtwende um 180 Grad, die Martin Grüner 2018 vollführte. Damals, als er den Bauernhof seines Vaters in Obergurgl übernahm, zog er gleichzeitig nicht nur einen Schlussstrich unter seine bisherigen Ausbildungen. Der HTL-Absolvent für ‚Holz- und Innenausbau‘, Skiführer und Skilehrer wollte nur noch eines sein, Vollerwerbs-Bergbauer. Um dann auch noch von der in Tirol hoch angesehenen Kuh- auf die eher belächelte Ziegenhaltung umzusteigen. Vollerwerbs-Bergbauer mit Ziegenhaltung? Das kann doch heutzutage gar nicht hinhauen, werden viele einwenden. Dem wollte ich persönlich auf den Grund gehen.

Maria und Martin Grüner am Bergmahd in Obergurgl
Hoch über Obergurgl liegen die Bergmähder von Maria und Martin Grüner. © Grüner/A.M. Lohmann

Sieben Hektar steile Bergwiesen

Wie legt es ein junger, 29 Jahre alter, verheirateter Bergbauer an, von Ziegenzucht und Käseverkauf zu leben wollte ich wissen. Vor allem, wenn man sich die Dimensionen dieses Bergbauernhofes kennt. Martin Grüner bewirtschaftet sieben (!) Hektar Bergwiesen, wovon „zwei Hektar nur von Hand, also mit der Sense zu mähen sind“, wie er voller Stolz sagt. Ein kleiner Vergleich gefällig? In Deutschland bewirtschaftet der durchschnittliche Landwirt im Vollerwerb 45 ha. Weil er sonst zu wenig abwirft. Unfassbar eigentlich.

Also, wie geht das, wenn sieben Hektar zum Leben reichen sollen? „Indem man zuerst einmal von der Berglandwirtschaft fasziniert ist. Und dann eine ganz genaue Kalkulation anstellt“, ist seine erste Antwort. Und: „So etwas kann nur dann funktionieren, wenn die Endprodukte eines Hofes unverwechselbar und einzigartig sind.“ Um dann zu des ‚Pudels Kern‘ zu kommen: „Die Preise eines bäuerlichen Qualitätsproduktes dürfen sich nie am Niveau der chemisch zusammengekleisterten Lebensmittel messen.“ Das ist es, was ich immer wieder betonen will: Während es sonnenklar ist, dass ein Porsche teurer als ein Kia ist, glauben viele Konsumenten, bäuerliche Qualitätsprodukte müssten preislich auf dem Niveau der billigsten Industrie-Lebensmittel sein. 

Maria und Martin Grüner, Obergurgl
Maria und Martin Grüner mit ihrer Ziegenherde auf dem Bergmahd. © Grüner/A.M. Lohmann

Eine kleine Führung durch Hofsennerei und Ziegenstall macht mich sicher: hier ist ein junger Mann mit größtem Einsatz, voller Motivation und höchsten Qualitätsansprüchen an sich selbst am Werk. Gemeinsam mit seiner Südtiroler Frau Maria betrachten es die jungen Leute als ihre Lebensaufgabe, die uralte bergbäuerliche Tradition ihrer Vorfahren hoch zu halten und weiter zu führen. 

Der Ziegenstall als Ziegen-Wellnesstempel

Wer glaubt, ein Ziegenstall rieche streng, sollte Martin Grüners Ziegenherde besuchen. Ich würde den Stall eher als Ziegen-Wellnesstempel bezeichnen. Es riecht nach Bergheu und Holz. Ich hätte jedenfalls keinerlei Problem damit, hier zu übernachten. Den üblichen Goaß-Geruch vemisst man völlig. Den Stall hat er als gelernter Holzfachmann selbst umgebaut, statt Kühen wohnen hier jetzt eben Ziegen.

‚Gemsfarbige Gebirgsziegen‘ nennt sich diese berggängige Ziegenrasse. Auch Milchziegen werden üblicherweise enthornt, doch darauf wird hier verzichtet und es leben gehörnte und genetisch hornlose Tiere zusammen. Martin gibt sehr viel auf das Wohl und die Gesundheit seiner Tiere und ist davon überzeugt dass sich das in der hohen Qualität ihrer Milch wiederspiegelt. Wie alle Ziegen verfolgen sie Stallbesucher mit neugierigen Blicken, stellen sich in ihren Kobeln auf die Hinterfüße um zu checken, ob nicht da oder dort ein Leckerli herausspringt. Um sich dann wie Schmusekatzen an ihren ‚Chef‘ ‚heranzuschmeißen‘. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass ihm die Tiere voll vertrauen. Derzeit bewohnen 25 Milchziegen mit ihren Kitzen den Stall. „40 werden es schlussendlich sein“, sagt Martin, „auf diese Größe haben wir den Stall ausgelegt“. 

Ziegen sind wahre Schmeicheltiere
Wenn sie Menschen mögen halten sich Ziegen mit Schmeicheleien überhaupt nicht zurück.
Martin Grüner mit einem 'Leckerli' für seine Geissen
Martin Grüner mit einem ‚Leckerli‘ für seine Geissen. © Grüner/A.M. Lohmann

Ein Weichkäse aus roher Ziegen-Heumilch mit Edelschimmel

Auch das Erlernen der Käsekunst plante er bis ins kleinste Detail erzählt mir Martin in seiner kleinen Hofkäserei. Zuerst ein Milchverarbeiterkurs in Rotholz. Daran anschließend verschaffte er sich einen Überblick über die erfolgreichen Weichkäse und deren Hersteller in Italien und Frankreich. Eines war klar: Ziegen-Camembert sollte es keinesfalls werden. Da gibt’s auch in Tirol bereits ausgezeichnete bäuerliche Produzenten. Also musste er etwas anderes finden. 

Die Goas-Gurgler Hofkäserei © Grüner/A.M. Lohmann

Schließlich ging’s auf ausgedehnte Exkursionen. Das Ergebnis: Nach einjähriger Entwicklungsphase ist’s ein ‚Ziegenweichkäse mit weißem Milchschimmel‘ in exzellenter  Rohmilchqualität geworden den er in Handarbeit in seiner ‚Goas- Gurgler Hofkäserei‘ hergestellt. Im Stil sei sein Weichkäse mit dem französischen Crottin de Chèvre zu vergleichen, erklärt mir Martin. „Ein Weiß-Schimmelkäse mit sahnartiger Konsistenz und einem dezenten, leicht säuerlichen Unterton, der auf der Zunge zerschmilzt.“ Was den Weichkäse absolut einzigartig macht ist der Geschmack, der die würzigen Hochgebirgs-Bergkräuter von Thymian bis zu Schafgarbe voll zur Geltung kommen lässt.

Ziegenweichkäse mit weißem Milchschimmel
Der Ziegenweichkäse mit weißem Milchschimmel. Das Paradeprodukt der Goas-Gurgler Hofkäserei.© Grüner/A.M. Lohmann

Rohmilch- vs. Gummikäse

Bei dieser Gelegenheit will ich meinen Leser_innen einmal den Unterschied zwischen einem Rohmilchkäse und den vielen billigen Gummikäsen erläutern. 

Der ‚Urkäse‘ wurde und wird aus Rohmilch handgeschöpft. Er enthält also alle gesundheitsfördernden und geschmacklichen Komponenten des Ausgangsproduktes Milch. Er wird mit natürlichem Lab fermentiert, ein Enzym, das aus dem Magen junger Wiederkäuer stammt.

Da Billig-Industriekäse aus Billigmilch hergestellt wird, muss diese pasteurisiert werden, was eine Erhitzung auf 75° erforderlich macht. Dabei werden nämlich alle Keime abgetötet. Zudem kann man dann die sogenannte ‚Silomilch’ mit verarbeiten. Dass dabei auch die eigentlichen Geschmackskomponenten der Milch ausgelöscht werden, ist logisch. Genau deshalb ist pasteurisierter Käse eigentlich gar kein Käse, ich würde ihn maximal als käseähnliches Produkt bezeichnen.

Ziegen-Bergheumilch als Geschäftsgrundlage

„Es ist die Qualität des Futters, die über die Qualität unseres Käses entscheidet“, erklärt mir Martin. Seine muntere Ziegenherde kriegt im Winter ausschließlich das selbst geerntete, gewürzreiche Obergurgler Bergheu. Im Sommer rückt die meckernde Truppe täglich auf die hochgelegenen Bergwiesen bei Obergurgl aus um am Abend wieder mit dicken Bäuchen in den Stall zurück zu kehren. Dabei geht ihm ein Border Collie namens Monk zur Hand. Der ist ja wie geschaffen dafür, die – höflich ausgedrückt – meist eigensinnigen und bisweilen widerspenstigen Tiere einzusammeln und die Herde zusammen zu halten.

Hofhund und Ziegenwächter Monk, Goas-Gurgler Hofkäserei
Border-Collie Monk schreitet die Formation der Ziegen ab. Nicht ohne ’seine‘ Goassn kritisch zu beäugen. © Grüner/A.M. Lohmann

Der Käse aus der Goas-Gurgler Hofkäserei reift im Natur-Felsenkeller

Neben dem in einjähriger Entwicklungsarbeit zur geschmacklichen Perfektion gebrachten Weichkäse hat Martin zwei weitere Käsesorten entwickelt: Einen Ziegenweichkäse  in Holzasche und einen Ziegenhartkäse, der mindestens 6 Monaten im Natur-Felsenkeller reift. Ein Wort zum Holzasche-Weichkäse. Die Idee, dieses absolute Feinschmeckerprodukt zu erzeugen, stammt aus Frankreich. Er schmeckt frisch und mild mit einer sehr dezenten Ziegennote im Abgang.

„So wie die Qualität unserer Milch über den Geschmack entscheidet, ist es der Natur-Felsenkeller, der den Käse mit all seinen Geschmackskomponenten zur Reife bringt“, sagt Martin. Er hatte beim Bau der Hofsennerei einen Felsen im Keller mit Bedacht integriert. Der sorgt nun ohne Energieaufwand für ideale Feuchtigkeit und Temperatur.

Felsenkeller der Goas-Gurgler Hofkäserei
Der Felsenkeller der Goas-Gurgler Hofkäserei. © Grüner/A.M. Lohmann
Hartkäse Goas-Gurgler Hofkäserei
Der exzellente Ziegen-Hartkäse reift mindestens 6 Monate bei optimaler Luftfeuchtigkeit und Temperatur im Felsenkeller der Goas-Grugler Hofkäserei. © Grüner/A.M. Lohmann

Ab Mitte Mai wird in Obergurgl wieder Käse geschöpft

Im vergangenen Jahr hatte er den Verkauf seines Ziegenkäses gestartet, sozusagen pünktlich zur Pandemie. Die hat ihm dann auch einen Strich durch die Rechnung gemacht. „Ich belieferte bereits die Top-Gastronomie des Ötztales“, erzählt er. Und dennoch ist Martin für die Zukunft alles andere als pessimistisch. Er ist zutiefst davon überzeugt, dass dem Rohmilchkäse und der damit verbundenen Qualität die Zukunft gehört. 

In knapp drei Wochen beginnt er wieder mit der Käseherstellung, da die Milch derzeit samt und sonders den Kitzen vorbehalten ist. Eine Neuerung wird es dann geben: Sein Käse wird künftig nicht nur in der Top-Gastronomie und seinem Hofladen in Obergurgl, sondern auch in ausgewählten Verkaufsstellen für Käse und bäuerliche Naturprodukte in Tirol erhältlich sein.  Details dazu erfahren Sie in Kürze auf der Facebookseite von Martin Grüner.

Mein Tipp: wer einen Ausflug nach Obergurgl macht sollte es keinesfalls versäumen, im Hofladen der Gurgler Hofkäserei vorbeizuschauen. Vielleicht ergattert ihr dann auch noch ein Stück seines außergewöhnlichen Molkeschweine-Specks. Denn die beim Käsen anfallende Molke wird von seinen Schweinen mit größtem Genuss verzehrt. Was sich im Geschmack des Specks nachdrücklich niederschlägt.

Es ist aber immer ratsam, den Käse bei Martin vorzubestellen.

Hilfreiche LINKS

Website der Goas-Gurgler Hofkäserei: www.goaskas.at 

Facebookseite der Goas-Gurgler-Hofsennerei: https://www.facebook.com/goaskas-104596291124638/

Facebookseite von Martin Grüner: https://www.facebook.com/martin.gruner.739

Instagramaccount: https://www.instagram.com/goas.kas/

Adresse Goas-Gurgler Hofkäserei:

Martin Grüner, Gurglerstraße 94, 6456 Obergurgl;

Telefon: 0699 195 353 00

mail: martin@goaskas.at

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