„Innsbruck ist die Stadt meiner Sehnsucht“

In unserer Blogserie anlässlich der Neuverfilmung der ‚Geierwally‘ haben wir bisher die Jugendjahre von ‚Annele‘, also von Anna Knittel geschildert. Ihre Jugendzeit endete nach der Beendigung ihrer Studien in München abrupt, der ‚Ernst des Lebens‘ holte sie ein. Für sie wurde jetzt Innsbruck zu einer Art Lebensziel.

Nachdem das ‚Annele‘ 1862 zum zweiten Mal einen Jungadler aus seinem Nest in der gefährlichen Saxerwand des Lechtals entführt hatte – ihr Vater nannte den Vogel ‚Hansl‘ und richtete ihn für den Verkauf (meist an Fürstenhäuser) ab – wurde Innsbruck die Stadt ihrer ‚Sehnsucht’, wie sie selbst bekannte. Zudem wusste sie, dass sie sich künstlerisch nur in Innsbruck weiter entwickeln konnte.

Es war just die Zeit der aufkommenden Fotografie, in der sich die junge Kunstmalerin Anna Knittel in den Frühen 60er Jahren des 19. Jahrhunderts als Künstlerin etablieren wollte. Nachdem sie zahlreiche Porträts gefertigt hatte, darunter je eines ihres Förderers Anton Falger und seiner Frau sowie ihre Schwestern, Vater und Mutter fand sie kaum noch Kunden in ihrer Umgebung, die sich von ihr porträtieren lassen wollten. Und so begann sie mit einem Selbstbildnis. Ausgerechnet dieses Bild sollte ihr die Tür zur Tiroler Künstlerwelt aufstoßen. Sie schickte das Gemälde auf gut Glück nach Innsbruck, „voll Bangen, was die Kunstverständigen dort sagen würden“, wie sie in ihren Lebenserinnerungen schreibt. „Und siehe da, eines schönen Tages krieg ich einen dicken Geldbrief vom Museum Ferdinandeum, welches das Bild angekauft und mir den Betrag von 44 Gulden sogleich zuschickte“. 

Das Selbstbildnis von Anna Knittel wurde 1863 vom Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum angekauft. Dieser erste wirtschaftliche Erfolg ebnete ihr finanziell den Weg nach Innsbruck. Bild: Tiroler Landesmuseen TLM

„..nicht sicher war der Arsch der kühnen Fräulein Knittel“

Ein Besuch von Mathias Schmid im Jahr 1863 in Elbigenalp bestärkte sie in ihrer erklärten Absicht, nach Innsbruck zu ziehen. Sie kannte den damals schon einigermaßen bekannten Paznauner Maler, den sie in München getroffen hatte. „Er tat mir sehr schön und bestürmte mich, doch nach Innsbruck zu gehen“ erinnert sich Anna Stainer-Knittel. Schmid versprach der jungen Frau auch, ihr Aufträge und ein Quartier zu besorgen. Und das, obwohl Anna dem Maler irgendwie gram gewesen sein musste. Denn er war es, der die Veröffentlichung von Annas mutiger Tat in der Saxerwand illustriert hatte. Worauf ihre Bekannten in München einen schlechten Witz gemacht hatten, der so lautete: „Schmid malt fleissig Bauern, Mönche und auch Büttel, nicht sicher war der Arsch der kühnen Fräulein Knittel.“ Woraufhin Anna das berühmte Selbstbildnis schuf, das sie im Adlerhorst zeigt. 

„Bauernmädchen an einem Köhlerofen“ von Mathias Schmid. Er stammte aus dem Panaun. Der damals schon bekannte Maler besorgte Anna Knittel eine erste Wohnung in Innsbruck. Bild: wikipedia

Statt großformatig den Radetzky malte Anna sich selbst

In Innsbruck bezog sie bei Dr. Brauner, einem Regimentsarzt Quartier. Sie erhielt denn auch gleich einen – wie sie schreibt – ‚ehrenvollen Auftrag‘, nämlich ein Bild des Erzherzogs Karl Ludwig zu malen. Und da war sie beim Regimentsarzt genau richtig. Die Innsbrucker Schützen suchten damals händeringend einen Künstler, der das Porträt des Bruders von Kaiser Franz Josef anlässlich der Eröffnung des neuen Landeshauptschießstandes in der Höttinger Au anfertigte.  Anna traute sich diese halbwegs ehrenvolle Arbeit zu. Als Vorlage diente ihr ein Bild des Erzherzogs. Ihr Vermieter erleichterte ihre Arbeit dadurch, dass er ihr eine originale Generalsuniform zur Verfügung stellte, die sie nun perfekt kopieren konnte. Eigentlich sollte sie dann auch noch ein großformatiges Bild des Feldmarschalls Radetzky malen und hatte den Rahmen schon mit Leinwand bezogen. Die Auftraggeber entschlossen sich jedoch, nur ein Brustbild des Marschalls in Auftrag zu geben. Für Anna Knittel kein Problem: sie wollte eh jenes Bild, das Mathias Schmid für die ‚Illustrirte Rundschau’ fabriziert hatte, dringend korrigieren. Das Ergebnis ist deshalb ein Großgemälde, das sie beim Ausheben des Adlerhorstes zeigt.

Mathias Schmid fertigte jenen Stich an, mit dem die mutige Tat der Anna Knittel in Wolf’s Illustrirter Rundschau einer breiten deutschen Öffentlichkeit bekannt gemacht worden war. Eine Darstellung, über die Anna selbst ‚murrte‘ und sich entschloss, dem Aufmacherbild ein Selbstbildnis entgegenzustellen.
Anna Knittels Selbstbildnis ihres Abstieges zum Adlerhorst und die Bergung des Jungadlers in einem Leinensäckchen. Man sieht auch das wichtigste Werkzeug dieser Aktion, einen Haken, mit dem man normalerweise Holz aus dem Fluss fischt. Und wer das Bild genau betrachtet sieht in der linken unteren Ecke ein Männlein sitzen. Das war vermutlich der Vater Annas, der ihre mutige Tat auch tatsächlich verfolgte.

„Den will ich“: Anna findet ihren Lebens- und Liebespartner

Im Frühjahr 1866 wohnte Anna am Innrain im Haus der Familie Knapp. Es war hier, wo sich zwei Lebenswege trafen. Schon kurz nach ihrer Übersiedlung zog ‚ein junger Geschäftsmann ein“, wie sie sich erinnert. „Er sei Anfänger, Formator und habe eine Braut in der Schweiz, die reich sei.“ Zudem könne er schön singen und sei fleißig. Ein Brief des Pfarrers von Elbigenalp sollte dann das Schicksal zweier Menschen besiegeln. Dem Brief lag ein anderer Brief bei, den sie bitte an die richtige Adresse weiterleiten sollte, die der Pfarrer nicht kenne. Der Brief war an Engelbert Stainer adressiert.

„Diesen oder keinen“

Sie nahm all ihren Mut zusammen und läutete an Stainers Türe. In der Tür steht ein hochgewachsener, sympathischer junger Mann. Anna stammelt von dem Brief und schleicht sich wieder die Stiege hinab. Aber eines ist klar: „Nun ist mein Schicksal an mich herangetreten. Ich empfand es mit Schrecken, diesen oder keinen, so rief’s in meinem Inneren.“ Was Anna an Engelbert Stainer so beeindruckte: der in Pfunds geborene Sohn eines Bildhauers lernte das Schusterhandwerk, mit dem er wenig anfangen konnte. Bis er ein Geschäft übernahm, das mit Gipsfiguren handelte. Stainer erlernte das Gipsformatieren mit viel Mühe selbst. Und genau das hatte Anna Knittel so an dem Mann begeistert. 

Engelbert Stainer, der von Anna Knittel geliebte und verehrte Ehemann mit Gipsfiguren.

Bereits im Jahre 1867 verlobten sich die beiden. Bei einem Besuch in Elbigenalp stellte sie den Mann ihren Eltern und Verwandten vor. Als Engelbert ihr jedoch gestand, dass eine ehemalige Freundin sein uneheliches Kind erwarte, akzeptierte sie das zwar, für ihre Eltern indes war dies der Grund für ein langes Zerwürfnis. Sie verboten ihr den Kontakt mit ihm und brachen den Kontakt zu ihr ab. Ihre Antwort: sie bliebe lieber in Armut an der Seite Engelberts als ihn zu verlassen. Eine für die damalige Zeit höchst mutige Entscheidung, die den Grundcharakter dieser bemerkenswerten Frau offenlegt: Sie wollte über ihr Leben selbst bestimmen und lehnte es ab, von anderen gegängelt zu werden.

„Nein, niederknieen tut die Anna nicht“

Da die Hochzeit noch im selben Jahr, also 1867 stattfinden sollte, reiste sie nochmals in Lechtal. Ihr Vater verbot ihr anfangs sogar, das Haus zu betreten und straft Anna mit Schweigen. „Wenn ich ins Haus wolle, müsse ich bei der Haustüre niederknien und bitten – ich niederknieen?“ Erinnert sie sich in ihrer Autobiografie. „Nein, knien tut die Anna nicht.“ Nach langem Zureden willigte der Vater schlußendlich ein, die Trauung fand am 14. Oktober 1867 in der Pfarrkirche von Elbigenalp statt. Die Hochzeitsreise führte über Reutte nach Hohenschwangau und von dort weiter nach München. „Aber mich freute München gar nicht mehr, ich hatte es satt. Auch ihn sehnte es heim und so waren es nicht 8 Tage geworden.“

In ihrem Gemälde ‚Kirchgang in Elbigenalp‘ verewigt Anna Stainer-Knittel einerseits die Kirche, in der sie getraut worden war und andererseits Frauen in den wunderschönen aber teuren Lechtaler Trachten.

Am 29. 7. 1868 kam ihr erstes Kind zur Welt, der kleine Karl. Sie bezogen eine neue Wohnung im Duregger-Haus in Wilten, mit einem angeschlossenen Geschäftslokal. „Zwei konnten in der Wohnung nicht nebeneinander stehen“, erinnert sie sich. „Und doch waren wir überzufrieden, denn der Laden war geräumig und bevölkerte sich allgemach.“ 

Anna Stainer-Knittel mit Kurzhaarfrisur um 1865 © aus: Nina Stainer – Anna Stainer-Knittel, Malerin..jpg

Aus dieser Zeit ist auch ein Foto von Anna Stainer-Knittel erhalten, auf dem sie eine Kurzhaar-Frisur trägt. Für die damalige Zeit und die Gesellschaft ein Affront, für Anna eine Selbstverständlichkeit. Anna Stainer-Knittel konnte jetzt in Innsbruck jenes freie Leben mit einem von ihr sehr geliebten Ehemann leben, das sie sich immer erträumt hatte. Wenn man’s von heute aus betrachtet gehörte diese begnadete Künstlerin mit Sicherheit zu den ersten Frauen Tirols, die sich erfolgreich gegen die damals drückende männliche Herrschaft aufgelehnt hatte. Ihr konnte niemand etwas vorschreiben.

Die Zitate aus den Lebenserinnerungen von Anna Stainer-Knittel habe ich dem sehr interessanten Werk „Anna Stainer-Knittel, Malerin“ entnommen, das 2015 anlässlich ihres 100. Todestages von Nina Stainer, ihrer Urenkelin im Innsbrucker Universitätsverlag Wagner eschienen ist.

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