„Die Tiroler sind lustig, die Tiroler sind froh, sie verkaufen ihre Betten und schlafen auf Stroh.“

Die Publikationen und Reisebeschreibungen von Ludwig Steub haben Tirol vor knapp 200 Jahren als Sehnsuchtsziel gepriesen und das Land quasi für den Tourismus geöffnet. Im 4. Blogbeitrag meiner Serie zur Person Anna Stainer-Knittel aka ‚Geierwally‘ möchte ich jenen Zeitgenossen würdigen, der ihre kühne Tat als erster öffentlich gemacht hat.

Weshalb ich diesen Mann im Zusammenhang mit dem geplanten neuen Film über die ‚Geierwally’ (hier gehts zur Website) vorstelle? Er war es, der die Veröffentlichung eines Berichtes der 22jährigen Anna Knittel über ihre Abenteuer in der Leipziger „Wolf’s Illustrirte Rundschau’ organisierte. (Siehe auch unseren Blog Nr. 3) In seinem Werk „Drei Sommer in Tirol“ schildert er weshalb er aus dem Staunen nicht mehr heraus kam. Verzückt stellte er fest: „Die lieblichen Jungfrauen des Thales unternehmen zuweilen, von kühnem Ehrgeiz getrieben, gefährliche Abenteuer.“ Das faszinierte ihn. Steub gibt offen zu, er beschreibe das Lechtal vor allem deshalb, um einer Geschichte Raum zu geben für „das merkwürdige Wagstück, welches in diesem Sommer ein Lechthaler Mädchen ausgeführt.“ Dies ist auch der Beginn jener Geschichte, die einer begnadeten Künstlerin zeitlebens einen Vulgonamen bescherte, den sie nie wirklich akzeptierte: ‚Geierwally’.

Der letzte Wildfluss der Alpen, der Lech im wunderschönen Tiroler Lechtal. ©Lechtal Tourismus

Eine Adelige übernimmt den Stoff und landet einen Bestseller

Ein Stoff, den die Schriftstellerin Wilhelmine von Hillern rund 10 Jahre später in ihren Roman ‚Die Geierwally‘ verpackte und damit einen Bestseller landete. Aus diesen meist noch von der Romantik beeinflussten Schilderungen formte sich übrigens jenes Tirolbild, das die Menschen heute noch lieben aber kaum mehr finden. Denn das einst wildromantische Tirolbild wurde inzwischen – wie wir alle wissen – auf dem Altar des Massentourismus geopfert. 

Meine folgenden Ausführungen dieses 4. Teils meiner Blogserie anlässlich der Neuverfilmung der ‚Geierwally’ durch Tiroler Künstler_innen basiert großteils auf einer hochinteressanten Dissertation von Renate Papst-Gerblinger über „Ludwig Steubs Tirolbild“. Sie verfasste das Werk 2020 und ist in der Uni-Bibliothek in Innsbruck einsehbar. 1)

Ludwig Steub, der ‚Pfadfinder Tirols‘

Reisen war die eigentliche Berufung des hochgebildeten, 1812 geborenen Mannes, der über verschiedene Bildungseinrichtungen schlussendlich nach München kam und dort Juristerei studierte um anschließend geraume Zeit in der damaligen Staatlichen Verwaltung zu arbeiten. Die Abenteuer des Robinson Crusoe hatten ihn aber schon als 7jähriger Knabe fasziniert. Im Alter von 17 Jahren durchwanderte er denn auch auf abenteuerlichen Pfaden die Schweiz. Später folgten Fußreisen nach Italien, Ungarn, Wien, Köln und Paris. Nach dem Absolvieren der letzten juridischen Prüfungen arbeitete er als Praktikant beim Stadtgericht München. Parallel zum Beruf widmete er sich mit größter Hingabe seiner literarischen Tätigkeit in Form von Reisebeschreibungen. 

Er wanderte zwischen den 1830er und 1870er-Jahren für etwa 40 Jahre immer wieder zu Fuß durch Tirol, von Osten nach Westen und von Norden nach Süden und beschrieb das Land mit einer Präzision, die ihresgleichen sucht. Steub schuf mit seinen Schilderungen, die er mit immer neuen Buchauflagen  quasi ergänzt hat, einen völlig neuen Typus der Landschaftsbeschreibung. Dabei standen  kulturgeschichtliche, ethnographische und volkskundliche Schilderungen im Vordergrund. In Summe ergab das ein Bild von Tirol, das heute noch absolut lesenswert ist.

Overtourism schon vor knapp 200 Jahren?

Ihm war offenbar bewusst, dass seine Beschreibungen auch gefährlich werden konnten. Nämlich dann, wenn die Leser_innen in Scharen an jene Plätze strömten, die er wortreich, meist romantisch, immer aber wunderbar detailverliebt beschrieben hat. Obwohl er die Vorteile des frühen Tourismus für die arme Bevölkerung Tirols erkannte warnte er vor den Gefahren, die damals schon allgegenwärtig waren: Manche ‚Orte mit Prestige‘, wie er es ausdrückte, würden regelrecht ‚überlaufen‘. „Man stürzt dahin zu Hunderten, drängt sich, stößt sich, schläft unter dem Dache, zahlt überspannte Preise und zieht verstimmt nach Hause.“ Um dann zu räsonieren: „Es wäre wirklich jammerschade, wenn auch dieser stille Winkel durch übergroßen Zulauf, Vornehmheit, Equipagen, Lakaien, Toilettenpracht und andre Widerlichkeiten beliebter Sommerfrischörter wieder unzugänglich würde.“ 

Vent in den frühen Tagen des Tourismus. Steub schrieb davon, dass Vent nach der Eröffnung eines guten Weges für die Touristen „ein klein Paris geworden“ sei. Bild: sagen.at

Das Wort Sommerfrische ist übrigens von Steub sozusagen ‚in die deutsche Sprache eingeführt‘ worden. Es wurde prompt zu einem Markenzeichen des frühen Tirol-Tourismus. Ein Liedtext von damals pries die Tiroler als gute Gastgeber, die bisweilen im Heuboden schliefen um Gäste beherbergen und Geld verdienen zu können. „Die Tiroler sind lustig, die Tiroler sind froh, sie verkaufen ihre Betten und schlafen auf Stroh.“ Bisweilen hat das im übertragenen Sinn noch bis in die 60erJahre des vorigen Jahrhunderts tatsächlich gestimmt. Viele meiner Bekannten aus dem Ötztal haben mir immer wieder bestätigt, wie es da in den Sommern zugegangen ist. Die ‚Deitschn‘ belegtn die Schlafzimmer, machten sich im Wohnzimmer breit und bestimmten sogar das Fernsehprogramm, während die Kinder auf engstem Raum schlafen und das ‚deitsche‘ Fernsehprogramm mit ansehen mussten.

Steub war mit zwei berühmten Ötztalern befreundet: mit Franz Senn und Adolf Trientl

Auf seiner Fußreise durch das Ötztal besuchte er in Gries bei Längenfeld auch den damals schon als ‚Mistapostel‘ bekannten Kuraten Adolf Trientl. Der Geistliche hatte erkannt, wie wichtig es ist, die Fruchtbarkeit der Felder und Wiesen zu steigern, um die Ernährung der Bauern abzusichern. 

Eine Freundschaft verband ihn mit Franz Senn, der damals als Kurat in Vent wirkte. Während Steub beim ersten Besuch den Weg nach Vent in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts noch über gefährliche und schwer begehbare Steige zurückzulegen hatte, war es einige Jahre später gänzlich anders. Denn, so schreibt er, „der Curat (Senn) hat alles aufgeboten, um den Reisenden … das Leben im Thale und das Steigen auf den Bergen so angenehm wie möglich zu machen.“ 

Kurat Franz Senn förderte den Tourismus, um den armen Bauernfamilien zu helfen

Senn, der zur Zeit der Besuche Steubs eben den Deutsch-Österreichischen Alpenverein gründete, wollte den Bauernfamilien in Vent helfen, der Armutsfalle zu entkommen. Er begann, den Touristen in seinem Pfarrhaus Unterkunft zu gewähren, was Steub sehr schätzte. Er pries Senn für diese ‚Übernachtungs-möglichkeit, die gut sortierte Bibliothek, die Aktivitäten Senns bezüglich des Wegebaus und die Herausgabe verschiedener Schriften über Bergpanoramen, Bergbesteigungen und Bergführer‘. Franz Senn, der als die bedeutendste Persönlichkeit des damals beginnenden alpinen Tourismus gilt, war mit dem harten und kargen Leben der Bergbauern in seinem Wirkungsbereichs wohl vertraut und erkannte, dass nur Tourismus und Fremdenverkehr die Not seiner Bauern lindern konnten.

Heiligkreuz im Ventertal in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Bild: Sagen.at

Senn organisierte denn auch die erste Bergführerausbildung des Alpenraumes und verhalf den Einheimischen damit zu einem lebenswichtigen Zusatzeinkommen. Was Steub denn auch entzückte: „Seit 1863 ist auch ein guter, für Katholiken und Protestanten (!) gleich gangbarer Saumweg von Vent übers Hochjoch ins Schnalserthal angelegt worden.“ Einen Übergang, den er mit einem der ersten legendären Bergführer zurücklegte: Nikodemus Klotz, Bauer auf den Rofenhöfen ob Vent. Steubs Schilderungen von Vent, vor allem aber der Klotz-Brüder von den Rofenhöfen, wurden übrigens von Wilhelmine von Hillern in ihrem Roman ‚Die Geierwally‘ übernommen und weidlich ausgeschlachtet.

Der Blick auf die Rofenhöfe oberhalb von Vent i. Ötztal

Schon damals: die Tiroler spielten gerne ‚Touristen-Theater

Das Grundprinzip des damals entstandenen Bildes, das Touristen schon bald von Land und Leuten in Tirol erhielten, schilderte Steub trocken: „Die Tiroler haben gelernt, dass es zu ihrem Vorteil ist, in der Heimat das Auftreten zu zeigen, das die Fremden erwarten.“ Mit anderen Worten: es ging schon damals um’s Theaterspielen und dem Vortäuschen irgendwelcher alpiner Bräuche. Waren doch Schuhplattln, ‚die lustigen Holhackerbuam‘ und der beliebte Watschentanz keineswegs autochthones Brauchtum.

Die Tiroler Frömmigkeit – für Steub eine Fundgrube für verhaltenen Spott

Angetan hatte es dem bayerischen Liberalen die überbordende Frömmigkeit der Tiroler_innen. Die er denn auch bei seinen Fußreisen durch’s Gebirge immer wieder mit Verwunderung beobachtete. Tirol sei ein Land der Wunder, merkte er an, „und man trifft kaum ein Bildstöckl, das nicht seine Mirakel wirkt.“ Als aufgeklärter, liberaler Bildungsbürger bedauerte er jedoch die ‚rege Sorge für die Kirche‚, die ‚wenig Theilnahme für die Schule‘ aufkommen lasse. Und wenn ein Tiroler Bauer ein Testament errichte, „so wird die Kirche nie vergessen, aber unter Tausenden denkt nicht einer an die Schule.“ 

Dass die unter Napoleon und den Bayern auch in Tirol abgeschafften Feiertage nach 1814 – Tirol kam wieder zu Österreich – allesamt wieder eingeführt worden sind konnte er noch verstehen. Dass aber „Gott der Herr wieder mit Glocken begrüßt wurde, wenn er in Gewittern vorüberfuhr“ verstand er nicht wirklich. 

Sein Resümee über die ersten ‚Auswirkungen‘ des Tourismus: „Nicht nur dem Glücklichen, auch dem Einfältigen schlägt keine Stunde.“


1) Die Dissertation von Renate Papst-Gerblinger „Ludwig Steubs Tirolbild“ aus dem Jahr 2020 ist in der Universitäts-Bibliothek Innsbruck einzusehen. 

3 Gedanken zu “„Die Tiroler sind lustig, die Tiroler sind froh, sie verkaufen ihre Betten und schlafen auf Stroh.“

  1. Frage: Sind die Tiroler heute ‚ katholischer‘ als der Durchschnitt in Österreich? In den 90er Jahren zum Beispiel waren überdurchschnittlich viele Theologiestudenten in Österreich aus Tirol. Deswegen frage ich, ob das bis heute anhält. ( Ich bewerte das nicht.)

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    • Ich glaub nicht, dass sie katholischer geworden sind als der Durchschitt. sicher ist: die anrufung himmlischer mächte in bestimmten situationen ist gleich geblieben. wie drückte es steub doch so trefflich aus, nachdem 1814 die feiertage wieder eingeführt wurden, die von den bayern abgeschaft worden waren: „Gott der Herr ward wieder mit Glocken begrüßt, wenn er in Gewittern
      vorüberfuhr.“

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