In Stein ‚geschrieben‘: Botschaften aus der Steinzeit

Weshalb haben Menschen in der Steinzeit Löcher in Steine gebohrt, die wir heute ‚Schalensteine‘ nennen? Bisher gab es nur wenig überzeugende Antworten. Das hat sich gründlich geändert.

Wie orientierten sich Menschen vor 10.000 Jahren in einer lebensfeindlichen Wildnis, wenn sie größere Distanzen in den Alpen überwinden mussten? Die Frage konnte von der Archäologie bisher nicht einmal ansatzweise beantwortet werden. Eine Gruppe von vier Hobbyforschern, zu der ich mich zählen darf, ist exakt dieser Frage in Tirol nachgegangen. Das Ergebnis in Kurzfassung: es gab schon vor Jahrtausenden ‚Orientierungssteine’. Eine kleine Sensation ist die Tatsache, dass sie in einer Art Ur-Schrift ‚geschrieben‘ sind.

Schalenstein auf der Oberen Iss im Viggartal

Schalenstein mit dem Hinweis, ‚auf dem richtigen Weg zu sein‘ – entdekt auf der Oberen Iss im Viggartal.

Die Orientierungshilfen entlang der vorgeschichtlichen Pfade werden heute ‚Schalensteine‘ genannt. Das sind meist größere, flache Steine, in die halbkugelförmige Vertiefungen gebohrt wurden. Sie haben den prähistorischen Jägern offenbar den Weg durch die damals flächendeckende  Wildnis gewiesen. Die Entschlüsselung und inhaltliche Deutung der Anordnung der Schalen eines Steines orientiert sich an neuen Erkenntnissen der Sprachwissenschaft. Wir haben in den vergangenen drei Jahren dutzende Schalensteine neu entdeckt und deren ‚Botschaften‘ in die heutige Sprache übersetzt. Botschaften, die meines Erachtens sensationell sind. 

Der große Schalenstein des Viggartales mit Hinweisen für Steinzeitjäger. Foto: Joe Bertsch

Ein erster Blick in die Glaubenswelt der Steinzeitjäger

Erstmals ist es möglich, einen Blick in die längst untergegangene Glaubenswelt der prähistorischen Menschen zu werfen. Unter unseren decodierten und übersetzten Schalensteinen waren zwei, die vermutlich als Grabplatten dienten. Deren Texte lassen auf auf einen tiefen, transzendentalen Glauben der prähistorischen Menschen schließen. Details dazu lesen Sie weiter unten.

Neugier als Triebfeder

Die Entdeckung eines etwa 11.000 Jahre alten Rastplatzes mittelsteinzeitlicher Jäger im Fotschertal des Sellrain auf rund 2.000 m Seehöhe stand am Ausgangspunkt dieser Forschungen in den Tiroler Bergen. Die Tatsache, dass die Alpen schon relativ kurz nach der letzten Eiszeit von Jägern durchstreift worden waren weckte meine Neugier. Wie fanden sie in einer Welt der totalen Wildnis ins Fotschertal? Denn sie legten auf ihrem Weg in die sommerlichen Jagdgebiete dutzende, wenn nicht gar hunderte Kilometer zurück. HIER geht’s zur Beschreibung der Ausgrabung.

‚Orientierungssteine‘ der Vorgeschichte

Der damalige Grabungsleiter Dr. Dieter Schäfer veröffentlichte die Ergebnisse seiner damaligen  Grabung in einem exzellenten Grabungsbericht: „Das Mesolithikum-Projekt Ullafelsen. Mensch und Umwelt im Holozän Tirols, Band 1“. Die Tatsache, dass sich bei der Ausgrabung Silexsteine vom Monte Baldo bei Verona ebenso fanden wie solche aus Franken im heutigen Bayern war denn doch außergewöhnlich. Belegt der Fund weitgehende Handelskontakte oder aber weite Wanderungen der Jäger? Gab es bereits Pfade oder Wege?

Der prähistorische Weg auf der Ostseite des Wipptales

Der Bericht enthält denn auch einen bemerkenswerten Aufsatz über „Mittelsteinzeitliche Fernverbindungen über den Alpenhauptkamm“ von Klaus und Nandi Maria Kompatscher. (S 205-237), der mich regelrecht elektrisierte. Das Südtiroler Ehepaar veröffentlichte eine Karte, in der mittelsteinzeitliche Pfade im Hochgebirge, unter anderem auch im Nordtiroler Wipptal verzeichnet sind. 

Das Plateau auf dieser ‚Felsnase‘ im Fotschertal des Sellrain diente Jahrhunderte hindurch als Basislager für Steinzeitjägern.

Gemeinsam mit Thomas Walli-Knofler, dem Autor des Buches Das Raetiastein-GPS – Die Wiederentdeckung eines 6.000 Jahre alten Navigationssystems machte ich mich auf, im Viggartal mit seinem ‚b’schriebenen Stein’ erste Erkundungen zu unternehmen. Denn einer der archäologisch definierten mittelsteinzeitlichen Pfade verlief schnurstracks durch dieses Tal. 

Der größte Monolith des Alpenraumes

Das Viggartal ist Standort des größten Monolithen des Alpenraumes. Der ‚b’schriebene Stein‘ ist ein kolossaler, schätzungsweise 60 Tonnen schwerer Felsblock, der aufrecht in der Erde steckt. Sein Name ist den vielen Felszeichnungen und Einritzungen geschuldet, deren Form und Anzahl ich bereits HIER beschrieben habe. Zudem, so stellte Thomas Walli-Knofler fest, ist er als ‚Adernstern’ quasi Mittelpunkt eines weit verzweigten Netzes von Kultplätzen in der Umgebung von Innsbruck. 

Thomas Walli-Knofer bei der radisthetischen Untersuchung ds b’schriebenen Steins – Petroglyphen geben dem Stein den Namen.

In ihrem wundervollen Buch Wege in die Vergangenheit in Tirol schildert die Haller Autorin Christine Zucchelli einen Schalenstein auf der Oberen Iss des Viggartales, den wir auch tatsächlich fanden. Er stellte sich für uns als wichtiger Beleg dar, den decodierten Inhalt der Schalenkombinationen in der Realität zu überprüfen. Der Stein war mit großer Wahrscheinlichkeit einst ein stehender Stein, also ein Menhir. Was auf ihm zu lesen ist schildere ich weiter unten.

Der große Schalenstein auf der Oberen Issalm mit einer wichigen Botschaft für prähsitorische Wandersleute.

Aufgrund zahlreicher anderer Schilderungen von Schalensteinen im Viggartal setzten wir die Suche fort, der sich jetzt auch Josef Höfer anschloss. Es wurde immer deutlicher: Schalensteine waren die Orientierungssteine der Vorgeschichte. Denn in der Folge konnten wir sie von Innsbruck ausgehend über Aldrans, Rans, Lans, den Goldbichl und Ellbögen am Eingang des Viggartales einerseits und über Sistrans, die Issalpe zum Patscherkofel andererseits kartieren. Sie säumen – das können wir nun zweifelsfrei nachweisen – den Weg von Innsbruck bis ins Innere Viggartal. Immer entlang des archäologisch beschriebenen prähistorischen Weges. Aber das war ja noch nicht alles.

Die Schalenstein-Schrift

Thomas Walli-Knofler stieß vor einigen Jahren auf das Buch von Herbert Kirnbauer Steinzeit-Code. Die Schalenstein-Schrift. Darin fasst Kirnbauer die Erkenntnisse von Sprachwissenschaftern zusammen, die er bereits bei seinen Untersuchungen an Schalensteinen in Anwendung gebracht hatte. Nicht nur die Frage nach dem Sinn dieser Steine war nun beantwortet. Wir konnten auch die Botschaften lesen. Grund genug für Thomas, das Lesen dieser Schrift unter der Anleitung von Herbert intensiv zu erlernen. Wir konnten den Autor sogar zur Mitarbeit in unserer Tiroler Gruppe bei der Decodierung der Steine  motivieren. Ab sofort wurde aus einer Suche nach Steinen eine Suche nach deren Botschaften. Es wurde spannend.

Das ‚Steinzeit-Alphabet‘

Wie rekonstruiert man prähistorische Pfade? 

Die Steinzeitjäger fertigten ihre Pfeilspitzen immer vor Ort. Deshalb können ihre Spuren heute noch gefunden werden. Denn die Abschläge in Form von Splittern der landläufig als ‚Feuerstein’ bezeichneten Silexsteine (die bei uns nicht vorkommen) fielen quasi als Abfall zu Boden. Mit geschulten Augen kann man die Silexsplitter heute noch oberflächlich finden. Einerseits gibt es den Stein in Tirol gar nicht und andererseits fällt in dieser Höhe kaum Humus an. Die Verbindung der einzelnen Fundstellen ergibt dann die prähistorischen Pfade („Mittelsteinzeitliche Fernverbindungen über den Alpenhauptkamm“ von Klaus und Nandi Maria Kompatscher. (S 205-237) In: D. Schäfer (Hrsg.) Das Mesolithikum-Projekt Ullafelsen, Teil 1“; Philipp von Zabern, Innsbruck 2011) 

Die prähistorischen Wege entlang von Silex-Oberflächenfunden. Aus: Schäfer, Dieter: Das Mesolithikum-Projekt Ullafelsen. Mensch und Umwelt im Holozän Tirols, Band 1

Neben den Jägern waren damals in den Alpen mit großer Wahrscheinlichkeit auch schon eine Art Händler unterwegs. Nach dem Rückgang der Eiszeitgletscher wurden erste Handelskontakte über den Alpenhauptkamm hinweg geschlossen. Einer dieser prähistorischen Verbindungswege führte von Innsbruck östlich der Sill über ‚Berg und Tal’ zum Pfitscher Joch. Mein damaliger Verdacht bestätigte sich nun in überzeugender Manier: Schalensteine liegen entlang uralter Pfade, waren also zum Großteil die ‚Orientierungssteine’ der Vorzeit, die heute noch zu sehen sind. 

Damit haben wir eine wichtige Frage beantwortet, die weder Archäologen noch selbsternannte Druiden bisher überzeugend beantworten konnten. 

Wo liegen in Tirol Schalensteine?

Man findet heute noch Schalensteine entlang von Wanderwegen, auf Almen, bei Passübergängen und in Hochtälern. Im Pitztal konnten wir einn Schalenstein finden, der am alten Weg zum prähistorischen Heiligtum am ‚Gachen Blick’ liegt. Und wenn sie nicht direkt an alten Pfaden liegen dienten sie teilweise auch als astronomische Karten. Wir haben bei unserer Suche sogar zwei Steine gefunden, die mit großer Wahrscheinlichkeit Grabplatten sind. 

Dieser Schalenstein liegt in Wenns am alten Weg, der zum prähistorischen Heiligtum am Gachen Blick geführt hat.

Wie alt sind Schalensteine? 

Wann genau die Schalen in die Steine gerieben worden sind ist eines der Geheimnisse, die die Steine nicht offenbaren. Das Alter dieser menschengemachten Halbkugeln ist rätselhaft und wird es vermutlich auch bleiben. 

Mir sind nur zwei Schalensteine bekannt die zeitlich zugeordnet werden konnten. Da ist einmal der Schalenstein als eine Art Grabplatte eines Neanderthal-Kindes in La Ferrassie in Frankreich. Der ‚Grabstein‘ konnte deshalb datiert werden, weil die Knochen des darunter beerdigen Kindes mit der C14-Methode untersucht wurden. Sie haben ein Alter von ca. 50.000 Jahren. Es ist somit der älteste bekannte Schalenstein Europas und ein Hinweis darauf, wie alt diese mysteriösen Steine sein können. Wie Kirnbauer in seinem Buch darlegt, enthält der Text des Schalensteines das Wort ‚HAGAL‘, mit dem die Gottheit beschrieben wird. Es war mit großer Sicherheit überhaupt das Wort, das transzendentale Inhalte vermitteln sollte. (Kirnbauer S 135 ff).

Auch in Österreich gibt es einen zeitlich fixierbaren Schalenstein in einem späthallstattzeitlichen Hügelgrab. Er wurde von Dr. Paul Gleirscher, dem gebürtigen Tiroler und  Direktor des Kärntner Landesmuseums Klagenfurt beschrieben. 

Ein Schalenstein im Südtiroler Schnalstal kann indirekt zeitlich verortet werden: er zierte nämlich eine bronzezeitliche Alm, die archäologisch belegbar vor rund 3.500 Jahren von Frauen betrieben worden war.

Wie bohrten die Menschen damals Löcher in harte Steine?

Vielleicht ist meinen klugen Leser_innen bekannt, dass es Steinbeile mit unglaublich präzis gebohrten Löchern gibt. Experimentelle Archäologen haben herausgefunden, dass dafür nur 4 Voraussetzungen nötig sind: Ein Bohrbogen (wie er auch zum Feuermachen verwendet werden kann), ein Stück dickes Holunderholz, Quarzsand und Wasser. Das Bild zeigt, wie einfach das geht.

So haben die prähistorischen ‚Wegwarte‘ vermutlich die Schalen in die Steine gebohrt.

Ellbögen ist ein wahres ‚Schalenstein-Zentrum‘ in Tirol: Grabplatten und Engelsstein

Der Hauptgrund, weshalb im Viggartal noch viele Schalensteine zu finden sin, liegt in eine simplen Umstand begründet: das Tal ist im wahrsten Sinn des Wortes abgeschieden. Eine lang gestreckte Alm reicht vom Meissnerhaus bis zum Kreuzjöchl, dem Übergang ins Arztal. Keine Privathäuser, das Befahren mit Mountainbikes und ähnlichen Gefährten ist hier verboten.

Prähistorische Gräber?

In Tarzens, oberhalb der Pfarrkirche St. Peter und Paul, am Eingang zum Viggartal, finden sich insgesam fünf mystische Schalensteine. Mit großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich um Grabplatten. Die Interpretationen von Herbert Kirnbauer und Thomas Walli-Knofler sind nahezu deckungsgleich. „Der Lebensweg endet im Grab“ und „Aus diesem Grab erwache bei Haghal (Gott)“. Auf einem anderen Stein wird die Hoffnung auf die Auferstehung ausgedrückt: „Da hier erwache aus deinem Grab“. Sätze, die vom Jenseitsglauben künden und die Auferstehung feiern.

Zwei der hochinteressanten Schalensteine in Tarzens

Der ‚Engelsstein‘ von der Lithagrub

Südlich des Mühlbaches, der aus dem Viggartal fließt, liegt auf dem Weg zur Profeglalm auf der sogenannten ‚Lithahgrub’ einer der schönsten und gleichzeitig mysteriösesten Schalensteine Tirols. Er wird im Volksmund ‚Engelsstein‘ genannt, da im Stein kindliche Fußspuren fein säuberlich eingearbeitet sind. Die Gehrichtung deutet auf den b’schriebenen Stein, der Text der Schalen: „Das ist der Weg zur Höhle.“

Die kleinen Fußspuren in diesem mysteriösen Schalenstein in Ellbögen. Engelsgleich, quasi.

Wie bereits erwähnt, findet sich auf der Oberen Iss, rund 1 Gehstunde vom Meissnerhaus entfernt, einer der größten Schalensteine des Landes. Seine Form ähnelt einem Altar und fällt Wandersleuten sofort auf. Der Text schließt an die Botschaft des Engelssteins an und versichert den Jägern auf dem richtigen Weg zu sein, obwohl es danach aussieht, als wär das Tal zu Ende: „Der Weg führt zu einer Höhle und zu einem See.“ Das trifft hier ganz genau zu. 

Die Entschlüsselung des Textes durch Thomas Walli-Knofler hat ein eindeutiges Ergebnis: Dieser umgefallene Menhir ist ein eindeutiger Wegweiser: „Der Weg führt zu einer Höhle und zu einem See.“ Das trifft hier ganz genau zu. .

Wer zum b’schriebenen Stein aufsteigt findet dort einen sogenannten ‚Hohlen Stein‘, quasi eine ‚halbe Höhle‘. Das sind Felsüberhänge, die von Steinzeitjägern als Ideales Quartier genützt wurden. Trocken und windgeschützt. 

Genau so ein Hohler Stein wurde in unmittelbarer Nähe des b’schriebenen Steins vom Archäologen Dr. Dominik Markl nachgewiesen. (Der Beitrag von Dominik Markl ist auszugsweise ist in diesem Buch zu finden: https://www.bod.de/buchshop/im-reich-des-patscherkofel-9783839104194 Markl fand bei einer archäologischen Prospektion zwei Silexsteine Abschläge, die aus der mittleren Steinzeit vor etwa 8.000 Jahren stammen. Wer dann den Weg in Richtung Kreuzjöchl weitergeht erreicht die Seenplatte unterhalb des Joches, die sogenannte ‚Seegrube‘. 

Unter diesem ‚Hohlen Stein‘ beim b’schriebenen Stein‘ saßen vor tausenden von Jahren Jägersleute.

Unsere Bitte um Mithilfe

Das Schwergewicht unserer Arbeit lag bisher im Nordtiroler Wipptal. Begehungen im Ötztal und Pitztal, aber auch im Unterinntal lassen vermuten, dass noch wesentlich mehr Schalensteine zu finden sind.

Deshalb unsere Bitte: wer die Position eines Schalensteines kennt oder Fotos davon besitzt soll sich bitte bei unserer Gruppe melden. Mails an: schalensteinetirol@gmail.com

MEINE LINKTIPPS:

Sie können die Zusammenfassung von Thomas Walli-Knofler der bisherigen Forschungsergebnisse von seiner Website kostenfrei downloaden.

Mein Blog zur Ausgrabung im Fotschertal des Sellrain

Das Buch von Thomas Walli Knofler: Das Raetiastein-GPS – Die Wiederentdeckung eines 6.000 Jahre alten Navigationss

Herbert Kirnbauer: Der Steinzeit-Code