Es ist wie die Rückschau auf eine verfließende Welt, die vor unser aller Augen versinkt. Und dennoch vermittelt sie eine leise Hoffnung. Dass nämlich einige geheimnisvolle Oasen in den Südtiroler Bergen überleben werden. Der Bildband „Mystische Orte in Südtirol. Wasser, Kulte, Mythen“ schildert die Reise zweier Autoren in eine entschwindende Welt, in der Berge heilig waren und die Natur höchsten Respekt genossen hatte.
Im Zuge meines Hobbys, gemeinsam mit drei Kollegen vorgeschichtliche Wege, Kultplätze und Schalensteine in Nord- und Südtirol zu recherchieren, bin ich auf ein wunderbares Buch gestoßen: „Mystische Orte in Südtirol. Wasser, Kulte, Mythen“. Es ist der bereits zweite Band der Serie ‚Mystische Orte in Südtirol’ der Autoren Martin Ruepp und Astrid Amico.

Ich habe schon viele Bücher gelesen, die sich sich mit den Alpen beschäftigen. Bücher, die die Perversitäten des Tourismus abhandeln und den unaufhaltsamen Niedergang dieser uralten Kulturlandschaft prophezeien. Die ‚Mystischen Orte in Südtirol halten quasi in letzter Sekunde noch jene Orte fest, die der bodenlosen Respektlosigkeit modernen Lebens noch nicht zum Opfer gefallen sind.
Das Studium der Bücher des deutschen Alpenforschers Werner Bätzing hatten mich bisher sehr geprägt. Er schildert darin detailliert die Urbarmachung der Alpen bis hin zu den heutigen Stadien der Ausbeutung und des Verfalls uralten Kulturlandschaft, die von Generationen unserer Vorfahren mit unbeschreiblicher Mühe geschaffenen worden war.

Ein wichtiges Postulat Bätzings: Die Alpen sind nicht ‚die Wildnis‘, von denen viele schwärmen. Bis auf Fels und Eis werden sie nämlich seit Jahrtausenden von Menschen genutzt und urbar gemacht. In den letzten Jahren mehren sich nun die Hinweise, dass unsere Urahnen diese Berge vor Äonen vor allem als heilig betrachteten. Hochgelegene Reste jahrtausendealter Kultplätze zeugen vom tiefen Respekt der vorchristlichen Glaubensrichtungen. Kaum zu glauben: die Plätze wurden über tausende Jahre hinweg permanent besucht. In Nordtirol zeugen der ‚Gache Blick‘ im Oberland und der ‚Goldbichl‘ in Igls von diesen, die Natur feiernden und verehrenden Kulten. Auch die Mystik des b’schriebenen Stein im Viggartal hatten sicher schon Menschen der Mittleren Steinzeit geschätzt.
Nach dem Standardwerk „Die Alpen“ war es vor allem Bätzings Streitschrift „Zwischen Wildnis und Freizeitpark: Eine Streitschrift zur Zukunft der Alpen“, die mich dann aber zu konkreten Aktionen bewogen hatten. Gemeinsam mit Freund_innen gründete ich die ‚Schule der Alm im Valsertal‘, die sich dem Erhalt des Kulturerbes ‚Alm und Bergmahd‘ widmet. Denn genau dieses Erbe verspielen wir derzeit leichtfertig. Das ist aber nur die eine Seite einer Medaille namens ‚Alpenbücher‘.

Die ‚zweite Seite der Medaille‘ wird nun von Martin Ruepp und Astrid Amico in einer für mich wunderbaren, geradezu spektakulären Art und Weise präsentiert. ‚Mystische Orte in Südtirol’ dokumentiert die jahrelange Suche des Autorenpaares nach jenen Plätzen, die unseren Vorfahren heilig waren. An denen es uns leichter fällt, „sich auf die Erfahrung einer anderen Wirklichkeit einzulassen“, wie sie im Vorwort betonen.

Unbeschreiblich wertvolle Plätze
Ihre Absicht hinter den Veröffentlichungen ihrer Erkundungen offenbaren sie ganz offen: „Mystische Orte in Südtirol – Wasser, Kulte, Mythen’ entsteht in einer dekonstruktiven und dunklen Zeit, in der große Teile der Natur und viele bislang kaum berührte Orte bedroht sind und einem einseitigen wie kurzsichtigen Denken geopfert werden“ schreiben sie. Sie wollen die Aufmerksamkeit ihrer Leser_innen auf die „unbeschreiblich wertvollen Plätze“ lenken, „welche unsere Ahnen und Urahninnen als Vermächtnis hinterlassen haben.“



Es geht um das Vermächtnis unserer Vorfahren
Es sind insgesamt 112 Plätze und Orte, die im Buch vorgestellt und auch auf einer Karte verzeichnet werden. Die Liebe zur alpinen Landschaft und der innewohnenden Mystik dokumentiert sich in den außergewöhnlichen Fotos von Martin Ruepp. Die Texte ranken sich ornamental um die Bilder und vervollkommnen damit einen der mit Sicherheit beeindruckendsten Bild-Text-Bände über die Südtiroler Berge. Den Autoren ist missionarische oder gar esoterische Belehrung fremd. Plätze und Orte werden mit jenem tiefen Respekt vorgestellt, der unsere Vorfahren bewogen hat, hier ihre kultischen Handlungen im Angesicht majestätischer Berge zu praktizieren.


Die Aura in Bildern festgehalten
Die Bilder von Martin Ruepp verdienen eine zusätzliche Bemerkung. Mich versetzen sie in eine meditative Stimmung, was üblicherweise nicht so schnell möglich ist. Gleichzeitig erwecken sie eine tiefe Sehnsucht in mir, solche Orte aufzusuchen. Es ist ganz so, als ob es dem gelernten Kulturanthropologen gelungen wäre, die Aura der Plätze und Orte in einer leicht verständlichen Bildsprache festzuhalten und sie ohne Übertragungsverlust zu vermitteln.



Schwerelose Texte
Die großartigen Bilder werden von schwerelosen Texte ergänzt, die Ausdruck dafür sind, dass das Autorenpaar eine ‚intime geistige Nähe‘ zu den mystischen Oasen in den Südtiroler Bergen pflegen. Ein Lesebeispiel soll es verdeutlichen, wie Ruepp und Amico in ihrem Buch die ‚wundersame Winterstallalm‘ vorstellen:
„Der Ort schenkt das Gefühl von Zeitlosigkeit, und lässt man den Blick weit schweifen und sieht am fernen Südhorizont Heiligkreuzkofel und Kronplatz sowie die Dolomiten von Senners bis zur Sellagruppe aufgereiht, scheint es gar, als würde sich mit dem Schauen in die Ferne auch der innere Horizont erweitern und als könne man sich von der Enge der eigenen Konventionen befreien. … Wir lernen heute erst langsam wieder, dass für unsere Ahnen hinter der äußeren Landschaft auch eine feinstoffliche Welt vorhanden war, die Anderswelt, mit welcher sie auf raffinierte Weise interagierten.“

Und so bleibt mir nur noch die Hoffnung, dass bergbegeisterte Menschen dieses Buch genauso in sich aufnehmen wie jene, die unsere Berge als Rückzugsort betrachten. Für mich ist es ist ein Epitaph auf eine beinahe schon versunkene Welt.
Es liegt an jetzt uns allen, diese letzten Oasen und ihre innewohnende Mystik zu erhalten. Wir müssen beginnen, den Bergen wieder jenen Respekt erweisen, der ihnen jahrtausendelang von unseren Vorfahren erwiesen worden war.
Meine Tipps:
Martin Ruepp stellt das Werk auf seiner Website selbst vor: http://www.martinruepp.com/mystische-orte-in-suedtirol/
Die Facebook-Seite ‚Mystische Orte in Südtirol‘ (https://www.facebook.com/MystischeOrteInSuedtirol) gehört zu den wunderbaren Seiten. Sie war der eigentliche Ausgangspunkt für die Gestaltung der zwei Bücher.
Bezieht euer Exemplar bitte NICHT VON AMAZON. Dieser Gierkonzern duldet weder Betriebsrat noch bezahlt er seinen Mitarbeiter_innen faire Löhne. Vorgäge und Zustände bei AMAZON scheinen bisweilen aus den Zeiten der Leibeigenschaft oder aus einem Horrorfilm zu stammen.
Bezugsquelle für Südtirol: Raetia-Verlag (https://www.raetia.com/de/berge-land-und-leute/573-mystische-orte-in-suedtirol.html)
Bezugsquelle für Nordtirol: Tyrolia Buchversand https://www.tyrolia.at/item/Mystische_Orte_in_Suedtirol/Martin_Ruepp/Astrid_Amico/42611025?back=012d7b08e7016190664f23982810f556
Die Bibliographie dieses Werkes:
Autoren: Astrid Amico, Martin Ruepp
Alle Fotos: Martin Ruepp
Umfang: 328 Seiten, 209 Fotos
Verlag: Edition Raetia; Auflage: 1 (24. April 2018)
Grafisches Konzept: Philipp Auckentaler
Layout und Satz: Martin Ruepp
Druckvorstufe: Typoplus
Größe und/oder Gewicht: 23,3 x 2,7 x 27,7 cm
ISBN-10: 887283631X
ISBN-13: 978-8872836316
Danke für diesen wunderbaren Beitrag – das Buch werd‘ ich mir endlich kaufen! Eine Schande, dass ich es noch nicht habe.
Beste Grüsse aus Südtirol,
Jürgen von http://www.motorprosa.com
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