‚Alpengletscher. Eine Hommage‘. Ein Prachtband des Tyrolia-Verlages, der in der Bibliothek von Berg- und Naturfreunden keinesfalls fehlen sollte.
Die Alpengletscher haben über tausende von Jahren unsere Landschaft geformt, ihr ein unverwechselbares Gesicht gegeben. Innerhalb einer Generation ist es uns Menschen gelungen, diese formenden weißen Riesen zum Schmelzen zu bringen. Die Glaziologin Andrea Fischer und der Fotograf Bernd Ritschel widmen ihnen im Tyrolia-Verlag eine Hommage. Mehr noch: Sie setzen den gleißenden Gletscherströmen ein hymnisches Denkmal. Aber in der Realität ist es ein Requiem.

Eindrucksvolle Texte, fantastische Bilder
Das Besondere an diesem Prachband ist die Zusammenarbeit der bekannten Tiroler Glaziologin Andrea Fischer mit einem der renommiertesten Bergfotografen, Bernd Ritschel. Es ist die eindrucksvolle Verbindung einer wissenschaftlich fundierten Bestandsaufnahme mit außergewöhnlichen Bildern von Gletschern und Bergen, die dieses Buch so wertvoll machen. Der Inhalt ist allerdings verstörend. Es geht um den langsamen Tod unserer Gletscher.

4 400 Gletscher gibt es in den Alpen, die sich auf 1806 Quadratkilometer erstrecken. Eine Fläche, kleiner als Osttirol aber etwa in der Größe von Rom. Die Gletscherschmelze hingegen hat bereits messbare Auswirkungen: zwischen 1961 und 2016 hat sie drei cm zum Meeresanstieg beigetragen. Das ist unglaublich.
Was ist eigentlich Gletschereis?
Andrea Fischer vermittelt mit ihren leicht lesbaren, wissenschaftlich fundierten Beiträgen auch Grundsätzliches. Wie die Dichte von Gletschereis. Schnee hat eine Dichte von 100 bis 200 kg pro Kubikmeter, Eis hingegen hat eine Dichte von 917 kg. Die Kubatur eines Gletschers ist also knapp 1:1 mit jener von flüssigem Wasser. Damit erklärt sich auch der Beitrag der Gletscher zum Meeresanstieg. Und: Gletschereis ist luft- und wasserundurchlässig. Letzteres hat in der Vergangenheit nicht nur in Tirol zu unglaublichen Katastrophen geführt.

Sagen künden noch von der Vergletscherung
Die Gletscherbildung vor tausenden von Jahren hat auch zur Bildung jener Sagenwelt geführt, die vor allem im Ötztal von den Gletschern beeinflusst ist. Ein Kinderreim heißt immer noch: ‚Tanneneh, Tanneneh, es kommt ein Schnee, der apert nimmer meh‘. Dass die Katastrophe vorrückender Gletscher quasi hausgemacht ist, davon waren katholische Kirche und die von ihr am Gängelband geführten Menschen gleichermaßen überzeugt. Und dann die Katastrophen der Ausbrüche von Gletscherseen im Ötztal, konkret des Gurgler- und des Rofner Eissees. Dramatische Ereignisse, denen man im ausgehenden Mittelalter mit Wallfahrten, Segnungen etc. zu Leibe rücken wollte. Bittprozessionen müssten heutzutage den Himmel anflehen, die Klimaerwärmung zu stoppen. Das dürfte genausowenig erfolgreich sein die mittelalterlichen Bittgänge zu den Gletscherseen.

Es ist ein Verdienst dieses Prachtbandes, einzigartige, teils großformatige Ansichten hochalpiner Regionen des gesamten Alpenraues zu berücksichtigen. Allein schon die Bildunterschriften geben einen Überblick über den dramatischen Verlust, der von Jahr zu Jahr schlimmer wird.

Das Wasserschloss schmilzt
Andrea Fischers wissenschaftlich fundierte Texte tun ein Übriges, dem Klimawandel in den Alpen mit Bangen entgegen zu blicken. Wir sind drauf und dran in eine völlig unsichere Zukunft zu schlittern. Die Gletscher als ‚Wasserschloss der Alpen‘ werden Ende dieses Jahrhunderts mit Sicherheit ausgedient haben. Was ist dann?

Es ist dem Tyrolia-Verlag zu danken, diese Hommage ermöglicht zu haben. Dieses Werk wird in einigen Jahrzehnten jenem Fotoalbum ähneln, in dem jede Familie ihre glücklichsten Momente gesammelt hat. Erst dann werden wir mit großem Schreck erkennen, dass man Geld weder essen noch trinken kann. Aber dann ist’s zu spät.

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Andrea Fischer ist eine österreichische Gletscherforscherin. Seit 2011 Privatdozentin an der Universität Innsbruck und Senior Researcher am Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Innsbruck. 2014 wurde sie zum korrespondierenden Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften gewählt.
Bernd Ritschel, 1963 im oberbayerischen Wolfratshausen geboren, bereist seit über 25 Jahren die Gebirge und Kontinente dieser Erde. Viele Expeditionen in den Himalaya, nach Alaska, in die Anden oder die Arktis führten ihn auch auf Gipfel über 7000 Meter.
Andrea Fischer, Bernd Ritschel: Alpengletscher. Eine Hommage.
256 Seiten, 158 farb. Abb.,
1 Übersichtskarte, 24 x 30 cm,
gebunden mit Reliefprägung
Tyrolia-Verlag, Innsbruck-Wien 2020
ISBN 978-3-7022-3846-9
€ 39,-
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