Eine Chronik des Malser Widerstandes

Die Südtiroler Politik, deren Apfelbarone und die Lemuren der Agrochemie laufen derzeit Sturm gegen ein soeben erschienenes Buch von Alexander Schiebel: „Das Wunder von Mals. Wie ein Dorf der Agrarindustrie die Stirn bietet. Eine Anleitung zum Widerstand.“ Der Schaum vor dem Mund ist erklärbar. Das südlich des Brenners bisher hochprofitable Konzept der industriellen Apfelzucht mit massivem Chemieeinsatz und ausuferndem Landschaftsverbrauch gerät immer stärker in eine selbst verschuldete Bredouille.

Vor etwas mehr als zweieinhalb Jahren habe ich Alexander Schiebel das erste Mal in Mals getroffen. Er war gerade dabei, mit der Kamera auf den Spuren dieses „Wunders“ zu wandeln. Mich interessierte die Geschichte von Mals auch deshalb, weil ich als einstiger Wackersdorf-Aktivist Ähnlichkeiten im Widerstand vermutete. In den 80er Jahren liefen wir gegen den übermächtigen atomar-militärischen Komplex an, der eine Plutoniumfabrik in den grünen Wald setzten wollte. Unsere Chancen schienen anfänglich Null zu sein. Aber schlußendlich hat die Anti-Atom-Bewegung den Kampf gegen die gigantische Überamacht triumphal gewonnen. Eine Nebenwirkung des Widerstandes von damals war auch der anschließende Niedergang der Atomindustrie. 

Ich traf also Alexander Schiebel eher zufällig in Mals. Ein Zufall, der für mich heute zu einem Glücksfall geworden ist. Denn ich möchte die vielen, ganz wunderbaren Diskussionen mit diesem hochgebildeten Mann nie mehr missen. Gemeinsam besuchten wir damals übrigens einen der Motoren dieses Widerstandes, den Malser Apotheker Dr. Johannes Fragner-Unterpertinger vulgo Hans Perting .

Das Wunder von Mals

Dr. Johannes Fragner-Unterpertinger (links) und Alexander Schiebel.

Soeben hat Alexander das Ergebnis seiner Recherchen in einem überaus bemerkenswerten Buch vorgelegt: „Das Wunder von Mals. Eine Anleitung zum Widerstand.“ Das Werk schildert das Wunder minutiös und detailreich und darf durchaus als Blaupause für lokalen Widerstand bezeichnet werden. Mehr noch: es ist eine Anleitung, wie wir uns in gegen die Machtübernahme neokonservativer Parteien und Gierkonzerne wehren können.

Schiebels Buch steht jetzt im Fokus heftiger, ja gehässiger Diskussionen in Südtirol. Und dabei schildert es nur die jüngste Geschichte des Vinschger Dorfes Mals, das der Agrarindustrie und den mit ihnen verbündeten Politiker_innen kühn die Stirn bietet. Ein Dorf, das drauf und dran ist, mit seinem Widerstand die Welt zu verändern. 

Ich habe selten eine Dokumentation so gut, so spannend und vor allem so informativ empfunden. Denn Schiebel schildert darin, wie er auf Mals aufmerksam wurde, wie er die Proponenten des Widerstandes kennen lernt und wie die Idee der ‚pestizidfreien Gemeinde Mals‘ schlußendlich triumphal in einer Volksabstimmung obsiegte. Mit viel Einfühlungsvermögen schildert er die Gespräche mit den Proponenten des Widerstandes. Was sie bewogen hat, mutig gegen die schleichende Vergiftung ihrer Umwelt aufzustehen. Und wie es dazu gekommen ist, dass sich kritische Geister ausgerechnet im Oberen Vinschgau zusammen getan haben um sich gegen die Ausbreitung der industriellen, agro-chemischen Apfelplantagen in den Oberen Vinschgau zu wehren. Er schildert aber auch, dass der Triumph noch nicht in trockenen Tüchern ist, dass die Südtiroler Politik nahezu täglich alle möglichen und unmöglichen Hebel in Bewegung setzt, um den eindeutigen Willen der Malser Bevölkerung mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln, Tricks und Täuschungen zu untergraben.

Südtirol und das Mittelalter

Wie ist es einigen Wenigen gelungen, einen gigantischen Stein ins Rollen zu bringen? Wie haben die Aktivist_innen ihren Protest angelegt, wie haben sie Unterstützer_innen gefunden? Das ist das eigentlich spannende an Schiebels Buch. Ich glaube, dass sich hier einer jener ‚Massenkristalle‘ gebildet hat, die Elias Canetti in „Masse und Macht“ beschrieben hat. Menschen, die völlig überzeugt sind, für das Gute und Richtige einzustehen verschmelzen im übertragenen Sinn zu einem Energie-Kristall, der Unmögliches möglich macht.

Schiebel schildert auch die Rückschläge, erzählt von üblen politischen Störmanövern der Südtiroler Einheitspartei und berichtet von Hasstiraden, die den Malser Aktivist_innen vor allem im Internet entgegengeschlagen sind. (Und immer noch entgegenschlagen.) Aber der Bogen reicht bis hin zum Triumph der Malser Volksabstimmung, bei der sich 76 % der Bewohner ganz eindeutig gegen die in Südtirol zum Einsatz kommenden Ackergifte wie Glyphosat & Co stellen.

Ein Bild, wie es im Vinschgau im Frühling und Frühsommer alltäglich ist. Wolken meist giftiger Chemie wabern über dem Land. Die Malser wollen genau das nicht.

Beeindruckend ist für mich, wie es Schiebel immer wieder gelingt, Daten und Fakten in den Text einzuflechten ohne im Geringsten damit zu langweilen. Er bricht internationale Erkenntnisse, wie zum Beispiel im Interview mit Rudolf Herren vermittelt, auf die reale Südtiroler Situation herunter. 

Schiebel selbst musste im Laufe seiner Arbeit zur Kenntnis nehmen, dass auch (oder vor allem) in Südtirol der Spruch gilt: mitgefangen-mitgehangen. Wird doch im Süden des Brenners ein Ausscheren aus der Landes-Doktrin „Apfelland Südtirol“ mit Verachtung, finanziellen Sanktionen und organisierter übler Nachrede geahndet. Wer es wagt, Bedenken und Kritik offen und vor allem laut auszusprechen wird medial für ‚vogelfrei‘ erklärt. Im Fall Schiebel waren es kurze Film-Sequenzen, die er auf Youtube gestellt hatte. Sie trieben die politischen Landesfürsten, die Apfelbarone und die Chemiefraktion auf die Palme.

Wie überhaupt gesagt werden muss, dass sich Südtirol diesbezüglich immer noch im Mittelalter befindet. Im Fall Schiebel: ihm wurden über Nacht alle Aufträge der Südtirol-Werbung entzogen, für die er einige wunderschöne Werbefilme erzeugt hatte. Und auf deren Einnahmen er damals seine kleine Filmproduktion in Meran gebaut hatte. Ich bin sicher: wenn es in Südtirol möglich wäre, sie würden Schiebel sogar ausweisen nur weil er es wagt, die gigantische Apfelmonokultur kritisch zu beleuchten und den Widerstand in Mals zu schildern. Aber die Primitiven unter den Herrschern haben immer schon den Überbringer der schlechten Nachricht gelyncht.

Das Buch als „Widerstands-Verstärker“

Mögen die Südtiroler Apfelbarone, deren politische Lemuren und vor allem der mit ihnen verbündete agroindustrielle Komplex die Sache drehen und wenden wie sie wollen: Der Widerstand gegen die grotesken Apfelmonokulturen und die jährliche Dauerberegnung mit teils hochgiftigen Chemikalien nimmt spätestens jetzt volle Fahrt auf. Und ja, es stimmt: Einer dieser Verstärker dafür ist sicher Schiebels Buch, das er als „Anleitung zum Widerstand“ versteht.

Joggen im Chemienebel. In Südtirol im Frühling und Frühsommer beileibe keine Seltenheit mehr.

„Widerstand in Südtirol ist das Bohren sehr harter Bretter“, meint er denn auch lachend im Gespräch mit mir. Dass dieser Widerstand letztendlich erfolgreich sein werde, davon ist er felsenfest überzeugt. „Solange es auch nur einen Menschen gibt, der die Gewissheit hat, dass der Widerstand erfolgreich sein wird, wird er diesen Erfolg auch tatsächlich erleben.“

Wie zum Beweis für seine These spielt die Südtiroler Politik samt den Apfelbaronen den Malsern in immer kürzeren Abständen in die Hand und machen damit die wohl beste Werbung für das Buch. Was die Herrschaften nicht bedenken: Mit ihren kruden Argumenten und vor allem mit verbalen, hasserfüllten Entgleisungen in den Sozialen Medien gegen den Autor, die Aktivist_innen und die Gemeinde Mals tragen sie die Botschaft der Pestizidgegner weit hinaus nach Europa.

Der Geist ist endgültig aus der Flasche

Kürzlich ließ das Umweltinstitut München e.V. ein Plakat in München affichieren. Unter einem satirischen Logo Pestizidtirol“ wurde auf die wahre Situation in Südtirol hingewiesen. Ganz im Gegensatz zur heilen Welt, die die Südtirol-Werbung den Deutschen versuchte vorzugaukeln. Jetzt heulten die Obstbarone und die mit ihnen verbündeten Politiker und Agromultis weit über die Grenzen hin hörbar auf. Hasspostings der als ‚Rächer der Enterbten‘ auftretenden rhetorischen Landsknechte aus Politik und Landwirtschaft in den Sozialen Medien bestätigen in ihrer Primitivität eindrucksvoll, dass die Plakataktion ein voller Erfolg war. Denn nun weiß ganz Deutschland, dass 

Südtirol nicht die heile Welt ist, in der rotbackige Äpfelchen im Schatten der Dolomiten heranreifen sondern eine gigantische Apfel-Plantage, in der Obst auf verkrüppelten Bäumchen wächst, die sogar angehängt werden müssen um nicht umzufallen

und

dass Urlauber vor allem im Frühjahr und Frühsommer jederzeit damit rechnen müssen, urplötzlich durch einen Chemienebel wandern/laufen/radfahren zu müssen, der alles andere als gesundheitsfördernd ist. Statt Wellness gibt’s bisweilen Badness in Südtirol

Das wahre Bild des Vinschgau ist wenig schmeichelhaft. Screenshot: https://pestizidtirol.info/de/

Ja, die Heulsusen aus Politik und Landwirtschaft spüren es jetzt: es geht an’s Eingemachte. Zu detailliert schildert Alexander Schiebel die Auswirkungen chemischer Landwirtschaft in Südtirol auf Böden und Gesundheit. Der Geist ist aus der Flasche und treibt sein Unwesen plötzlich europaweit.

Das wissen die Südtiroler Landesregierung, der Bauernbund und der mit beiden verbündete Agrochemische Komplex. Ihre Beschwichtigungsversuche wirken an den Haaren herbeigezogen und sind eigentlich das letzte Aufgebot. Denn:

  • Sie wissen genau, dass Argumente wie ‚Grenzwerte‘, ‚integrierter Obstbau‘ usw. von immer weniger Konsumenten akzeptiert werden; 
  • Sie wissen genau, dass sie die Böden mit den chemischen Giften auf Jahre, wenn nicht sogar auf Jahrzehnte hinaus vergiften;
  • Sie wissen genau, dass das Bienensterben in Südtirol zum Großteil auf die massive Ausbringung von Pestiziden und Herbiziden zurückzuführen ist, wie  eine brandneue Studie belegt. Die natürlich in einem Labor außerhalb Südtirols erstellt werden musste;
  • Sie wissen genau, dass die gesundheitlichen Folgewirkungen für die Südtiroler_innen dramatisch sein werden;
  • Sie wissen genau, dass beim ersten Nachweis der Supergifte in den Äpfeln das „Südtiroler Apfelwunder“ auf dem Abfallhaufen der Geschichte landet und das Land eine ernsthafte, wirtschaftliche Krise stürzen wird;
  • Sie wissen genau, dass es alternative Möglichkeiten des Apfelanbaus gibt, verbunden mit wesentlich verbesserten Marktchancen.

Aber sie suchen den Fehler ganz sicher nicht bei ihrer eigenen, haarsträubenden Landwirtschaftspolitik sondern halten nach Sündenböcken Ausschau. Und einen dieser Sündenböcke glauben sie in Alexander Schiebel, dem Chronisten des Widerstandes gefunden zu haben.

Ich habe jedenfalls tiefen Respekt vor der Arbeit Schiebels und vor allem vor seinem Mut, als Buch- und Filmautor das Unsagbare auszusprechen.

Schiebel, Alexander: Das Wunder von Mals. Wie ein Dorf der Agrarindustrie die Stirn bietet. oekom verlag München 2017, ISBN-13: 978-3-96006-014-7. Preis: € 19,–

Weitere Informationen:

  • Das Buch könnt ihr am besten HIER direkt bei Alexander Schiebel online bestellen (BITTE keinesfalls beim Gierkonzern Amazon!)
  • Das Wunder von Mals wird in der äußerst informativen WebSite detailliert geschildert.
  • Wer den Dokumentarfilm vorab auf dieser WebSite bestellt, trägt mit dazu bei, dass der Film ausfinanziert wird: http://wundervonmals.com/crowdfunding/
  • Ausschnitte aus der künftigen Dokumentation gibt es HIER auf youtube zu sehen.
  • Hier geht’s zum Facebook-Account des „Wunders von Mals“
  • Wer meine neun Blog-Texte zu Mals nachlesen will, kann das hier tun.

Ich danke Maria Gapp für die Erlaubnis zur Verwendung des Titelbildes nach einem Konzept von Rosenrot&Weizenschrot.

2 Gedanken zu “Eine Chronik des Malser Widerstandes

  1. Ein sehr informativer Bericht, der einen klaren Standpunkt zeigt. Mit welchen Mitteln die Gegenseite arbeitet kann man in der Süddeutschen Zeitung vom 2.10.17 lesen, der davon berichtet, dass die Landesregierung Südtirols das Umweltinstitut München angezeigt hat.

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