Ich nehme den Interview-Beitrag des Bio-Kräuter-Unternehmers Urban Gluderer zum Anlass, die Diskussionen in Südtirol um die flächendeckende Giftspritzerei in Teilbereichen darzustellen. Dass die Politik in ganz Tirol oligarchische Züge hat, ist nichts Unbekanntes. Dass aber jetzt auch Kritiker der Chemiekeulen brutal mundtot gemacht werden sollen wie der Filmemacher Alexander Schiebel ist doch eine neue Dimension in der Politik der ältesten „Festlanddemokratie“.
Während der zuständige Südtiroler Landesrat Arnold Schuler auf Facebook quasi Werbung für Bio-Äpfel aus Südtirol macht, schaut die Realität bei unseren ‚verfolgten‘ südlichen Brüdern und Schwestern doch völlig anders aus.
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Chemiewolken hängen wieder über den Obst-Monokulturen. Und niemand weiß genau, was da durch die Luft fliegt. Die Bürgerliste Natz-Schabs wehrt sich dagegen. Bild: Bürgerliste Natz Schabs
Denn seit Wochen hängen wieder Chemiewolken über den Apfelplantagen. Selbst inmitten von Wohngebieten wird rücksichtslos genebelt. Auf Facebook tauchen immer mehr Beweisfotos wie jenes der Bürgerliste Natz-Schabs auf, und da wollte der Herr Landesrat Schuler offenbar eine Gegenoffensive starten. Jeder 2. Bio-Apfel in Europa stamme aus Südtirol, verkündet er mit charmantem Lächeln. Vielleicht stimmt das auch. Aber wieviel % beträgt der Anteil der verkauften Bio-Äpfel in Europa? Das sagt er natürlich nicht. Eine andere Zahl: jeder 6. in Europa verkaufte Apfel und jeder 10. verkaufte Apfel weltweit stammt aus Südtirol. So, jetzt kennen wir die Dimensionen.
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Diese Kampagne zeigt die Hilflosigkeit von Arnold Schuler, dem giftigen Treiben der Obstbauern in Südtirol Einhalt zu gebieten. Deshalb lobt und preist er offenbar die Bio-Äpfel. Aus: Facbookaccount von Arnold Schuler vom 2.5.2015
Schuler hat in der Tat allen Grund, die Flucht nach vorne anzutreten. Denn der Widerstand gegen die tonnenweise Ausbringung toxischer Agro-Chemikalien auf den Obst-Monokulturen nimmt in der Südtiroler Bevölkerung sprunghaft zu. Die Enthüllungen des Kräuterspezialisten Urban Gluderer bringen das Chemie-Fass jetzt zum Kippen.
Und dann noch das „Wunder von Mals“, jene legendäre Volksabstimmung in der die Wähler der Obervinschger Gemeinde jede Ausbringung der Agro-Gifte auf ihrem Gemeindegebiet untersagten. Was Wunder, dass die SVP dieses Ergebnis gerne vom Tisch wischen würde.
Alexander Schiebel, der bekannte Dokumentarfilmer, nahm sich dieses Themas schon im vergangenen Jahr intensiv an. Und dafür muss er jetzt offenbar büßen. Ihm wurde kürzlich von einem seiner Auftraggeber, der Südtirol-Werbung, quasi der Stuhl vor die Tür gestellt. Der Grund: Schiebel wagt es, in Südtirol gegen die ungebremste Ausbringung der chemischen Keulen und damit gegen den Stachel zu löcken. Noch schlimmer: Er begehrt damit auch automatisch gegen die Südtiroler Einheitspartei auf. Und das muss natürlich umgehend bestraft werden. Es lohnt sich, Alexanders Einträge auf seiner Facebook-Seite zu lesen.
Die Vorgeschichte: Schiebel ist seit dem „Wunder von Mals“ – als die Bevölkerung der Obervinschger Gemeinde Mals den Einsatz von Agro-Giften per Volksabstimmung auf ihrem Gemeindegebiet ausgeschlossen hatten – ein kritischer Begleiter dieser neuen Anti-Gift-Bewegung in Südtirol. Ist ja eigentlich sein Job. Genau das ist bei den Obstbaronen, Landwirtschaftskämmerern und den mit ihnen unter einer Tuchent steckenden Politiker_innen von der SVP nicht auf Wohlwollen gestoßen. Und jetzt plant Schiebel auch noch eine groß angelegte, durch Crowdfunding finanzierte Dokumentation über das ‚Wunder von Mals‘. Das war denn doch zuviel. Es wurde offensichtlich schon länger überlegt, wie man so einem Mann ‚zubischteign‚ kann. Jetzt war es soweit.
Als Schiebel dann eine ironische Abwandlung des Südtirol Schriftzuges im Marketing-Logo auf Facebook stellte („Pestizidtirol„) reichte das den modernen Landvögten und Duodezfürsten. Und als Schiebel dann auch noch eine ‚Chronik der Repression‘ auf Facebook veröffentlichte war der Ofen völlig aus. Wenn man in Tirol schon gefeuert wird dann hat man gefälligst die Schnauze zu halten. Schiebel tat das Gegenteil: er dokumentierte die Reaktionen der „Herrschenden“ akribisch auf seinem Facebook-Account. Und entblößte damit Politiker und deren Lemuren.
Wer nun die Realität in Nordtirol kennt, weiß automatisch, wie sowas läuft. Denn die in Sonntagsreden immer wieder mit fester Stimme von ‚ordentlichen Politikern‘ vorgetragene Mär von der ‚ältesten Festlanddemokratie Tirol‘ kann schon längst keine Rede mehr sein. Diese hat sich in eine miese Oligarchie verwandelt, in der eine Minderheit über die Mehrheit herrscht. In Nordtirol waren schon 2013 16 Stimmen der ÖVP mehr als 20 der vereinten Opposition. Und Bestellungen im Landespressedienst werden vom Landeshauptmann Nord höchstselbst dekretiert. Da wird weder gefragt noch gefackelt wenn es gilt, Parteisoldaten in höchste Ämter zu hieven.
Für mich zeugt die Aktion von Alexander Schiebel jedenfalls von einer Zivilcourage, wie ich sie in Tirol kaum mehr für möglich gehalten hätte. Sicher, in Facebook-Postings wird sie immer wieder eingefordert – meist anonym. Aber wenn’s drum geht, Klartext zu reden, ziehen 99,9 % der Maulhelden ihren Schwanz ein.
Schiebel führt uns jedenfalls schmerzhaft vor Augen, wie wir alle angesichts der Ungerechtigkeit und schmerzhaft aufbrechender Ungleichheit als Demokraten handeln müssten.
Wer hat den Mut, mit Schiebel aber auch mit dem Kräuter-Unternehmer Urban Gluderer gegen die Vergiftung der Südtiroler Böden aufzustehen?
Urban Gluderer betreibt seit über fünfundzwanzig Jahren das Bio-Kräuter-Unternehmen Kräuterschlössl in Goldrain. Er zählt zu den Betroffenen der Spritzwut und hat diese (obst)bäuerliche Unart dokumentiert. In der Video-Dokumentation von Alexander Schiebl beschreibt er auf eindrückliche Weise, was die Bauern anrichten und dokumentiert, dass die Aussagen der Bauernvertreter in Sachen Nachhaltigkeit und Umweltschutz einen überschaubaren Realitätsbezug haben.
Alexander Schiebel leistet mit seiner Doku-Arbeit einen zentralen Beitrag zur Anti-Pestizid-Debatte die so überfällig wie wichtig ist.
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